Volltext: Der Völkerkrieg Band 13 (13 / 1918)

D i e achte Kriegstagung des deutschen Reichstags I. 37 
Lord Grey hat von diesen entscheidenden Dingen nicht gesprochen, dafür aber die Aufmerksamkeit 
seiner Zuhörer auf Nebensachen abgelenkt. Das Haager Schiedsgericht, das der Zar anbot, klingt 
ja äußerlich sehr bedeutungsvoll. Aber es wurde angeboten, als bereits die russischen Truppen 
gegen uns in Bewegung gesetzt waren. Seinen eigenen Konferenzvorschlag — ich habe das wieder 
holt im Reichstag ausgeführt — hatte Lord Grey selbst zugunsten unserer Vermittelung zurückgestellt. 
Und Belgien? Ehe auch nur ein einziger deutscher Soldat seinen Fuß auf belgischen Boden ge 
setzt hatte, hat Lord Grey dem französischen Botschafter nach dessen Bericht an seine Regierung 
wörtlich erklärt: 
„Falls die deutsche Flotte in den Kanal einfahren oder die Nordsee passieren sollte in der Ab 
sicht, die französische Küste oder die französische Kriegsflotte anzugreifen und die französische Handels 
flotte zu beunruhigen — zu beunruhigen, meine Herren! — würde die britische Flotte eingreifen, 
um der französischen Marine ihren Schutz zu gewähren, in der Art, daß von diesem Augenblick 
an England und Deutschland sich im Kriegszustand befinden würden." 
Kann derjenige, der das Auslaufen unserer Flotte als casus belli erklärte, wirklich noch im 
Ernst behaupten, einzig und allein die Verletzung der belgischen Neutralität habe England gegen 
seinen Willen in den Krieg getrieben? 
Und schließlich die Behauptung, wir hätten, um England vom Kriege fernzuhalten, der britischen 
Regierung daS unwürdige Angebot gemacht, sie möge zur Verletzung der belgischen Neutralität die 
Augen zudrücken und uns freie Hand lasten, die französischen Kolonien wegzunehmen! Ich fordere 
Lord Grey auf, in seinem Blaubuch und in seinen Akten den Sachverhalt nachzuprüfen. Ich habe 
in dem ernsten Bestreben, den Krieg zu lokalisieren, dem britischen Botschafter in Berlin schon am 
29. Juli zugesichert, daß wir, unter Voraussetzung der Neutralität Englands die territoriale In 
tegrität Frankreichs gewährleisteten. Am 1. August hat der Fürst Lichnowsky den Lord Grey ge 
fragt, ob im Falle einer Verpflichtung Deutschlands, die Neutralität Belgiens zu achten, England 
sich seinerseits zur Neutralität verpflichten könne; er stellte ferner in Aussicht, daß im Falle der 
englischen Neutralität die Integrität nicht nur deS französischen Mutterlandes, sondern auch der 
französischen Kolonien garantiert werden könne. Er gab in meinem Auftrag die Zusicherung, daß 
wir bereit seien, auf einen Angriff auf Frankreich zu verzichten, falls England die Neutralität 
Frankreichs verbürgen wolle. In letzter Stunde noch machte ich die Zusage, daß, solange England 
sich neutral verhalte, unsere Flotte die französische nicht angreifen und — unter Voraussetzung der 
Gegenseitigkeit — keine feindlichen Operationen gegen die französischen Handelsschiffe vornehmen 
werde. 
Lord Grey hatte auf all dies nur die Antwort: er müffe endgültig jedes Neutralitätsversprechen 
ablehnen und er könne nur sagen, daß England sich die Hände freizuhalten wünsche. Hätte England 
diese Neutralitätserklärung abgegeben, so wäre eS nicht, wie Lord Grey meint, der Verachtung der 
ganzen Welt preisgegeben worden, sondern eS hätte sich damit daS Verdienst erworben, den Aus 
bruch des Krieges zu verhindern. Auch hier frage ich: Wer hat den Krieg gewollt? Wir, die wir 
England jede erdenkliche Sicherheit nicht nur für unmittelbare englische Jntereffen, sondern auch für 
Frankreich und Belgien zu geben bereit waren, oder England, das jeden unserer Vorschläge ablehnte 
und sich weigerte, seinerseits irgend einen Weg zur Erhaltung des Friedens zwischen unseren beiden 
Ländern auch nur anzudeuten? 
Meine Herren, ich wiederhole: Alle diese Dinge sind von der deutschen Regierung teils in meinen 
Reden, teils in amtlichen Publikationen so oft dargestellt worden, daß es mir, nachdem der Krieg 
nun über zwei Jahre wütet, im Grunde widerstrebt, diese retrospektiven Betrachtungen zu erneuern. 
Aber es handelt sich nicht um Polemik. Wir alle haben das größte Jntereffe daran, den immer 
wieder künstlich genährten Glauben, als sei Deutschland der Angreifer gewesen, so gründlich als 
möglich zu zerstören. Und trifft vollends Lord Greys Ansicht zu, daß die Erkenntnis über die 
wahren Ursachen deS Krieges für seine Beendigung und für die Friedensbedingungen von großer 
Bedeutung ist, so weisen meine Worte doch auch auf die Zukunft hin. 
Lord Grey hat sich endlich ausführlich mit der Zeit nach dem Frieden, mit der Gründung eines 
internationalen Bundes zur Bewahrung des Friedens beschäftigt. Auch dazu will ich einige Worte 
sagen. Wir haben niemals ein Hehl aus unseren Zweifeln gemacht, ob der Frieden durch inter 
nationale Organisationen, wie Schiedsgerichte, dauerhaft gesichert werden könne. Die theoretischen 
Seiten des Problems will ich hier nicht erörtern. Aber praktisch werden wir jetzt und im Frieden
	        
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