Volltext: Der Völkerkrieg Band 13 (13 / 1918)

34 Das Deutsche Reich während des fünften Kriegshalbjahres 
haben, bin ich genötigt, den Tatbestand wieder einmal festzustellen und die Nebel zu zerstreuen, mit 
denen unsere Gegner den Sachverhalt zu verschleiern suchen. Ihnen gegenüber, meine Herren, kann 
ich dabei allerdings nur Bekanntes wiederholen. 
Der Akt, der den Krieg unvermeidlich machte, war die russische Generalmobilmachung, die in der 
Nacht vom 30. auf den 31. Juli 1914 angeordnet wurde. Rußland, England, Frankreich — die ganze 
Welt wußte, daß dieser Schritt uns ein längeres Zuwarten unmöglich machen muhte, daß dieser 
Schritt gleichbedeutend mit der Kriegserklärung war. In der ganzen Welt, auch in England, beginnt 
man sich über die verhängnisvolle Bedeutung der russischen Mobilmachung klar zu werden. Die 
Wahrheit bricht sich Bahn. Ein englischer Gelehrter von Weltruf hat vor einiger Zeit geschrieben: 
„Viele Leute würden anders über das Kriegsende denken, wenn sie über den Kriegsanfang besser 
Bescheid wüßten, besonders über den Tatbestand der russischen Mobilmachung." 
Kein Wunder, wenn Lord Grey bei seiner neuen Rede an der russischen Mobilmachung nicht vorbei 
gehen konnte. Er sah sich gezwungen, von der russischen Mobilmachung zu sprechen. Er konnte nicht 
mehr bestreiten, daß die russische Mobilmachung der deutschen und der österreichischen Mobilmachung 
vorausging. Aber da er die Schuld am Kriege von der Entente abwälzen will, macht er den ge 
wagten Versuch, durch eine ganz neue Lesart die russische Mobilmachung als — daS Werk Deutsch 
lands hinzustellen. Lord Grey hat ausgeführt: Rußland hat erst mobil gemacht, nachdem in Deutsch 
land ein Bericht erschienen war, daß Deutschland die Mobilmachung befohlen habe, und nachdem 
dieser Bericht nach Petersburg telegraphiert worden war. Unter Hinweis auf die angebliche Fälschung 
der Emser Depesche von 1870 fügte er hinzu, daß in dem von uns gewählten Augenblick ein Ma 
növer gemacht worden sei, um ein anderes Land zu einer Verteidigungsmahnahme zu provozieren, 
und daß dann diese Verteidigungsmaßnahme von uns mit einem Ultimatum beantwortet worden 
sei, das den Krieg unvermeidlich gemacht habe. 
Es hat 2*/ 4 Jahre gedauert, bis Lord Grey auf diese ebenso neue wie objektiv falsche Lesart der 
Kriegsursache gekommen ist. Der Vorgang, auf den er anspielt, ist bekannt. Das Dokument, das 
seiner Beweisführung zugrunde liegt, ist ein Extrablatt des „Berliner Lokalanzeigers". 
Die Herren erinnern sich vielleicht, daß am Donnerstag, den 30. Juli 1914, in den frühen Nach 
mittagsstunden der „Lokalanzeiger" in Form eines Extrablattes die Falschmeldung ausgab, daß 
Seine Majestät der Kaiser die Mobilmachung befohlen habe. Die Herren wissen auch, daß auf der 
Stelle der Verkauf dieses Extrablattes polizeilich verhindert und die vorhandenen Exemplare be 
schlagnahmt worden sind. Ich kann außerdem feststellen, daß der Staatssekretär des Auswärtigen 
Amts alsbald den russischen Botschafter und gleichzeitig auch alle übrigen Botschafter telephonisch 
davon unterrichtete, daß die vom „Lokalanzeiger" ausgegebene Nachricht falsch sei. Ebenso wurde 
die Botschaft alsbald von der Redaktion des „Lokalanzeigers" unterrichtet, daß ein Versehen vorlag. 
Ich kann weiter feststellen, daß der russische Botschafter zwar sofort nach Ausgabe des Extrablattes 
eine chiffrierte Meldung nach Petersburg telegraphiert hatte, die nach dem russischen Orangebuch 
lautete: „Ich erfahre, daß die Mobilmachungsorder für das deutsche Landheer und die deutsche 
Flotte soeben verkündigt worden ist"; daß aber diesem Telegramm nach der telephonischen Aufklärung 
durch den Staatssekretär von Jagow ein zweites in offener Sprache folgte, das lautete: „Ich bitte, 
mein letztes Telegramm als nichtig zu betrachten. Aufklärung folgt." Wenige Minuten darauf 
sandte der russische Botschafter in chiffrierter Sprache ein drittes Telegramm, das nach dem russischen 
Orangebuch besagte, der Minister des Auswärtigen habe ihm soeben in diesem Augenblick telephoniert, 
daß die Nachricht von der Mobilmachung des Heeres und der Flotte falsch ist, und daß die be 
treffenden Extrablätter beschlagnahmt worden seien. 
Das sofortige Eingreifen des Staatssekretärs von Jagow zur Richtigstellung der falschen Meldung 
— ein Eingreifen, das in dem offiziellen russischen Orangebuch in dem Telegramm des Botschafters 
Swerbejew bestätigt wird, widerlegt allein schon die Behauptung Lord Greys, daß wir Rußland 
absichtlich hätten täuschen wollen, um es zur Mobilmachung zu veranlassen. Ich kann aber auch 
feststellen, daß nach den Erhebungen der Kaiserlichen Postverwaltung über die Abgangszeiten der 
drei Telegramme des russischen Botschafters diese nahezu gleichzeitig in Petersburg angekommen sein 
müffen. Die russische Regierung kann sich also nur einen kurzen Augenblick in dem irrigen Glauben 
befunden haben, daß in Deutschland die allgemeine Mobilmachung angeordnet worden sei. Jeden 
falls war die Richtigstellung der Falschmeldung bereits erfolgt, ehe die russische Regierung ihrerseits 
die allgemeine Mobilmachung anordnete. Meine Herren, wir haben kein Tribunal zu scheuen.
	        
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