D i e achte Kriegstagung des deutschen Reichstags I. 23
gelegmheiten. Schärfer ging der nationalliberale Abgeordnete Stresemann vor.
Er sprach offen aus, daß die nationalliberale Partei das Hauptgewicht aus die Er
weiterung der Rechte der Volksvertreter lege. Nach den Erlebnissen im Kriege könnten
sie ihre früheren Bedenken gegen die Parlamentarisierung nicht mehr ausrecht erhalten.
Man müsse die öffentliche Meinung des deutschen Volkes zur Unterstützung der deutschen
Auslandspolitik mobilisieren.
Nachdem dann noch der Abgeordnete Ledebour (soz. Arbeitsgem.) in einer Rede,
die einige wirksame Wendungen enthielt und dann von Heiterkeit unterbrochen wurde,
den Standpunkt der äußersten Linken zum Ausdruck gebracht hatte, kamen abermals
zwei liberale Abgeordnete zu Worte. Der nationalliberale Abgeordnete v. Richthosen
sagte knapp und deutlich, daß sich seine Partei mit der Helfferichschen Klausel, welche
die Kommission nur auf Kriegsdauer weitertagen lassen will, nicht einverstanden er
klären könne. Gegen Herrn Kreth bemerkte er sehr richtig, daß das Verhältnis von
Fürst und Heer mit der Erweiterung der Parlamentsrechte gar nichts zu tun habe.
Von dem Geist der wirklichen Neuorientierung, nämlich der Indienststellung des ganzen
Volkes für das Vaterland, sei in den Erklärungen des Dr. Helfferich nichts zu spüren.
Dann bezeichnete der fortschrittliche Abgeordnete Sivkovich (sortsch. Volksp.) die
Macht- und Kraftlosigkeit des Reichstages in auswärtigen Dingen als einen unwürdigen
Zustand. Es solle in Deutschland keine Versteckpolitik getrieben werden, sondern man
solle einen wirklichen Volksstaat aufbauen.
In einem Schlußwort stellte der Berichterstatter, Abgeordneter Bassermann (nl.)
fest, daß ein eigentlicher Widerspruch zwischen dem Antrag der Kommission und dem der
Konservativen nicht vorliege, und der letztere nur eine genaue Umschreibung wünschte. Es sei
auch heute wiederum klargestellt worden, daß der Kommissionsantrag in die Kaiserlichen
Rechte nicht eingreifen wolle. Darauf vertagte sich das Haus. Zu einer Abstimmung
war es zwar noch nicht gekommen, aber der Gang der Debatte hatte deutlich erkennen
laffen, daß eine starke Mehrheit im Reichstag für den Vermittlungsantrag des Zentrums
vorhanden war. Der allgemeine Eindruck war, daß der Abgeordnete v. Richthofen
die Stimmung richtig kennzeichnete, als er die Hoffnung aussprach, die Haltung der
Regierung möge nicht später zu Konflikten führen.
Bei der namentlichen Abstimmung am Schluß der Sitzung vom 27. Oktober 1916 ist
dann der Antrag des Haushaltsausschusses, betreffend die Beratung von Angelegenheiten
der Auswärtigen Politik und des Krieges während der Vertagung des Reichstags im
Ausschuß für den Reichshaushalt, mit 302 gegen 31 Stimmen bei einer Stimmenthaltung
angenommen worden, nachdem vorher der Antrag Arnstadt und Genossen gegen
die Stimmen der beiden Parteien der Rechten abgelehnt worden war.
Die Annahme des neuen 12-Milliarden-KreditS und die Finanzrede
des Rcichsschatzsekretärs
am 2 7. Oktober 1916
In der Sitzung vom 27. Oktober 1916 hatte die Reichsregierung zunächst auf sechs
kleine Anfragen Rede und Antwort zu stehen. Gleich die erste Anfrage, die sich
auf die Prüfung der Anwärter für den Konsular- und diplomatischen Dienst
bezog, brachte die Regierung in einige Verlegenheit. Der Unterstaatssekretär Zimmer
mann erklärte zwar, daß man im Auswärtigen Amt bereits im Jahre 1914, dem
Wunsche des Reichstages gemäß, neue Bestimmungen ausgearbeitet habe, daß der Krieg
aber die Durchführung neuer Einrichtungen verzögert habe. Und als er dann hinzu
fügte, daß man „auch wertvolle Erfahrungen" gemacht habe, die man bei einer Reform
nicht unberücksichtigt lassen dürfe, und von „Vorarbeiten" und „Nachprüfung" sprach,