Volltext: Der Völkerkrieg Band 13 (13 / 1918)

Die innere Politik und Personalien II 248 
lichen Kollegen außer Rajew und Rein zu sich rufen und legte ihnen den Antrag auf Auslösung 
der Duma vor; doch sprachen alle außer dem Handelsminister und Protopopow sich dagegen aus. 
AlS Ausweg wurde vereinbart, daß man Mljukow wegen seiner Aeußerungen zur Verantwortung 
ziehen sollte (vgl. S. 229). Ein entsprechender Brief deS Ministerpräsidenten an Rodzianko wurde am 
gleichen Abend im Beisein MakarowS, TrepowS und Jgnatiews unterzeichnet. Die letzte Sitzung des 
Ministerrats unter Stürmer fand am 16. November statt. Am 21. November erhielt Stürmer die mehrfach 
nachgesuchte Erlaubnis, sich ins Hauptquartier zu begeben, um dem Zaren daS Gesuch auf Auflösung der 
Duma vorzulegen. Unterwegs, auf der Station Orscha, erhielt er die Mitteilung von seiner Entlaflung 
und Ernennung zum Oberkammerherrn." Trepow weilte vom 20. bis 22. November beim Zaren. Seins 
Ernennung muß also während seiner Anwesenheit im Hauptquartier beschlossen worden sein. 
In Wien betrachtete man, nach Meldungen der „Kölnischen Zeitung" (26. XI. 16) „die Ersetzung 
Stürmers durch Trepow als einen Erfolg der Wühlarbeit des englischen Botschafters Buchanan, 
der durch SsasonowS plötzlichen Sturz äußerst aufgebracht, alle Hebel in Bewegung gesetzt habe, um 
den sich der englischen Bevormundung widersetzenden Stürmer zu beseitigen (vgl. auch S. 232). Buchanan 
habe den Ansturm des fortschrittlichen Blocks gegen die Regierung geleitet, obgleich die Reden verschiedener 
Mitglieder diese- Blocks, deren Wiedergabe die Zensur unterdrückte, einen Umschwung in der Stim 
mung deS russischen Volke- zugunsten einer raschen Beendigung deS Krieges festgestellt hätten, waS 
sicher nicht im Interesse der englischen Politik liege. Dem scheine allerdings die Ernennung TrepowS 
zum Nachfolger Stürmer- zu widersprechen, da Trepow nicht nur ein Erzreaktionär und deshalb dem 
fortschrittlichen Block verhaßt sei, sondern auch bis vor kurzem die Zielscheibe der Angriffe wegen der 
Lebensmittelnot gebildet habe, die nach der allgemeinen Anschauung wesentlich eine Folge der auch 
unter Trepow nicht behobenen Schlamperei auf den Bahnen sei. Diesen Widerspruch müsse man sich 
dadurch erklären, daß Stürmer auch Trepow zum Gegner gehabt habe, weil er diesen als den Allein 
schuldigen an der Lebensmittelnot hingestellt und dadurch dazu getrieben habe, sich an dem Ränke 
spiel gegen Stürmer zu beteiligen. Andererseits habe der Zar, nachdem die Berufung eines Mitglieds 
des fortschrittlichen Blocks, Protopopow, ins Kabinett, dessen Begehrlichkeiten nicht beruhigt, sondern 
im Gegenteil im Vertrauen auf die Unterstützung Buchanans zu Versuchen angestachelt habe, die 
Regierungsgewalt ganz an sich zu reißen, durch die Ernennung TrepowS zum Ministerpräsidenten 
diesen Bestrebungen einen Dämpfer aufsetzen wollen." Interessant ist auch die weitere Kopenhagens 
Nachricht der „Kölnischen Zeitung" (27. XI. 16), nach der der Abgeordnete Schid lowski bei einem 
Festmahl, daS der „Fortschrittliche Block" zu Ehren deS neuen Ministerpräsidenten Trepow gab, den 
anwesenden englischen Botschafter Sir George Buchanan als Rußlands unentbehrlichen 
Ratgeber bezeichnete und die Hoffnung auSsprach, der Botschafter möchte dem neuen Minister- 
vrästdenten ebenso mit seinem wertvollen Rat zur Seite stehen wie früher Ssasonow. 
„Ueber die Gründe zum Sturze Stürmers durften sich die Petersburger Zeitungen," wie der „Frank 
furter Zeitung" (5. XII. 16) aus Kopenhagen geschrieben wurde, „ziemlich offenherzig aussprechen. 
„Rjetsch" (26. XI. 16) erklärte offen, daß Stürmer gestürzt worden sei, weil er für den Frieden ge 
arbeitet habe; weniger zielbewußt, als durch seine Unfähigkeit, die äußere und die innere Politik 
Rußlands zu leiten, durch die er das Land immer tiefer in die Sackgaffe hineingeführt habe. Er 
habe sich nur dadurch halten können, daß er überall offenen Konflikten auSwich, der einen Partei 
Versprechungen gab, die halb erfüllt wurden, und der andern Partei geringfügige Zugeständniffs 
machte. Zuletzt habe Stürmer Unterstützung bei der sogenannten „Friedenspartei" am Hofe und dem 
„Friedenskreis", der sich um die Zarin gebildet habe, gesucht und in der Richtung auf einen Sonder 
frieden mit Deutschland zu arbeiten begonnen, um die reaktionären Kreise zu gewinnen und mit 
chrer Hilfe die Reaktion zu befestigen; er habe hartnäckig nach Beseitigung der Reichsduma gestrebt, 
deren Majorität unentwegt für Fortsetzung deS Krieges sei. Dort habe man aber diese seine Politik 
erraten und aus seinem Friedensbestreben die siegreiche Waffe gegen ihn geschmiedet." 
Dazu meldet „Reuter" (25. XI. 16) aus London: „Stürmers Rücktritt und TrepowS Ernennung 
zum Ministerpräsidenten ist eine nicht mißzuverstehende Andeutung, daß der Zar völlig mit den 
jüngsten Kundgebungen der beiden Kammern und der öffentlichen Meinung im ganzen Lande über 
einstimmt. Gleichzeitig geht daraus hervor, daß die deutsch-freundliche Strömung, die 
in letzter Zeit in Rußland festgestellt werden konnte, für immer unterbunden ist. Die letzte Duma- 
sitzung hat den Beweis geliefert, daß die Sympathie, die man in Rußland Deutschland gegen 
über hegt, äußerst gering ist und daß eine Verstimmung gegen den Minister vorherrschte, weil man
	        
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