Volltext: Der Völkerkrieg Band 13 (13 / 1918)

234 Rußland während des fünften Kriegshalbjahres 
30. September 1916. 
Der Senator und Hofmeister des Zaren, Graf Konstantin Wahlen, der als Mitglied des 
Senats eine Fahrt durch das russische Turkestan unternommen und fast unglaublich klingende Ent 
hüllungen über die russische Verwaltung Zentralasiens gemocht hatte, wurde seines Hofamtes enthoben. 
Generalleutnant d. Res. Madritow wurde zum Militärgouverneur des nördlichen Zentralastens (Sir- 
Darja-Provinz) ernannt. Madritow hatte, wie der „Vossischen Zeitung" (30. IX. 16) aus Stock 
holm berichtet wurde, bei der schmutzigen Waldaffaire von Aalu, die seinerzeit zum russisch-japanischen 
Kriege führte, mit Wiffen der russischen Regierung als Anführer einer auS chinesischen und korea- 
' Nischen Räubern zusammengesetzten Bande eine Rolle gespielt. 
1. Oktober 1916. 
Ein kaiserlicher Erlaß beauftragt den Adelsmarschall der Provinz Simbirsk und zweiten Vize 
präsidenten der Duma, Protopopow, mit der einstweiligen Führung des Ministeriums des 
Innern an Stelle Chwostows (vgl. XVI, S. 292), dessen Rücktritt genehmigt wird. 
Alexander Dmitriewitsch Protopopow, 1866 geboren, einer der reichsten Großgrund 
besitzer und der größten Tuchfabrikanten Rußlands, war nicht das, was man einen führenden Parla 
mentarier nennt. Bekannt ist er, nach einem Artikel des „Berliner Tageblatts" (2. X. 16), erst 
durch seine Auslandsreise geworden, die er mit anderen Mitgliedern der Duma und des Reichsrates 
in die verschiedenen neutralen und verbündeten Staaten unternahm (vgl. XIV, S. 10 bis 12). Als 
er zurückkehrte, wurde er wegen seiner Zusammenkunft mit einigen deutschen Privat 
personen Ln Stockholm, nach anderen Mitteilungen mit dem deutschen Gesandten v. Lucius, 
in der russischen Presse scharf angegriffen» Protopopow soll damals in Petersburg erzählt haben, 
er Hütte sich überzeugt, daß von einer Aushungerung Deutschlands keine Rede sein könnte. Und 
als er dann in das Große Hauptquartier besohlen wurde (die Berufung eines einfachen Abgeordneten 
zum Zaren steht einzig in der Geschichte Rußlands da), eröffneten die panslawistischen Kreise ein 
regelrechtes Kesseltreiben gegen ihn, bis sich schließlich der Präsident der Reichsduma, Rodzianko, ge 
nötigt sah, in einem öffentlichen Briefe die Stockholmer Zusammenkunft sozusagen zu entschuldigen. 
Protopopow und das bekannte Mitglied des Reichsrates Graf Dimitri Olsufiew hätten sich lediglich 
als Privatpersonen mit einer nichtosfiziellen deutschen Persönlichkeit unterhalten. Trotzdem blieb 
Protopopow dauernd im Verdacht, deutschfreundlich zu sein und einen Separatfrieden mü 
Deutschland zu wünschen. 
Sein Projekt einer Zeitungsgründung trug noch dazu bei, Protopopow zu der meistan- 
gegriffenen Persönlichkeit in Rußland zu stempeln. Fünf Millionen Rubel wurden ihm ohne weiteres 
von den großen Banken und Jndustriekreisen zur Verfügung gestellt, und daß es ihm gelungen war, 
auch eine Reihe von bedeutenden Journalisten für sein neues Blatt zu verpflichten, steigerte noch 
den Zorn der Petersburger Presse, wobei es auch nicht an der Verdächtigung fehlte, das Unter 
nehmen sei mit deutschem Gelde begründet worden. 
Ueber die Gründe der überraschenden und Aufsehen erregenden Ernennung Protopopows wurden 
die verschiedensten Gerüchte bekannt. Während einerseits behauptet wurde, die Ernennung beab 
sichtige, eine günstige Atmosphäre für ein Einvernehmen der Reichsduma mit Stürmer zu schaffen 
und die Stellung des Kabinetts zu festigen, wurde andererseits behauptet, Stürmer habe darauf 
keinen Einfluß gehabt. Protopopows Ernennung sei ein Experiment, deffen Schlüssel nicht im Großen 
Hauptquartier und beim Kaiser, sondern in Zarskoje-Sselo in der Umgebung der Kaiserin zu suchen 
sei, wo die unsichtbaren Fäden, die Rußland damals regierten, zusammenliefen (vgl. XVI, S. 294). 
Später meldete „Rußkoje Slowo", nach der „Kölnischen Zeitung" (11. X. 16), der Grund des 
Rücktritts ChwostowS und die Berufung Protopopows sei in Meinungsverschiedenheiten mit dem 
Ministerpräsidenten über die Ausschreibung von Neuwahlen zur Reichsduma für das Frühjahr 1917 
zu suchen. Stürmer sei entschieden für die Abhaltung der Neuwahlen eingetreten, da er bei der unter 
dem Eindruck der großen Ereignisse herrschenden patriotischen Gesinnung deS Volkes eine Reichs 
duma von „einheitlicherer Zusammensetzung", als sie jetzt bestehe, zu erhalten hoffte. Chwostow da 
gegen sei für die Verlängerung der Mandate der Abgeordneten eingetreten. 
Noch später teilte „Rußkoje Slowo", nach der „Frankfurter Zeitung" (16. X. 16), über die Vor 
geschichte her Ernennung Protopopows zum Minister des Innern folgende Einzelheiten mit: „Stürmer 
hatte, als er noch das Ministerium des Innern verwaltete, den Direktor des Polizeidepartements, 
General Klimowitsch, „ersucht", um seinen Abschied einzukommen, was dieser natürlich auch
	        
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