Volltext: Der Völkerkrieg Band 13 (13 / 1918)

222 Die Ereigniss e an der Ostfront im fünften Kriegshalbjaht 
Untergebenen stets im Auge behalten. Solche Fehler können nicht nur zu Mißerfolgen und zu 
Niederlagen führen, sondern sie haben zur Folge, daß der Soldat das Vertrauen zu seinen Vor 
gesetzten verliert. Die Nichtbefolgung dieses Befehls wird in Zukunft die schwersten Strafen für die 
Kommandanten der betreffenden Truppenteile nach sich ziehen." 
Daß das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, zwischen Offizieren und 
Mannschaften durch den Krieg in der Tat erheblich verschlechtert worden war, geht u. a. 
auch aus den Tagebuchaufzeichnungen eines im August 1916 gefangenen Soldaten vom 
'148. Kaspischen Regiment hervor, in denen er nach Mitteilungen der „Norddeutschen 
Allgemeinen Zeitung" (7.1. 17) schrieb: 
„Als wir uns in der Reserve im Dorfe D. befanden, nahm das Regime (der Leibeigenschaft) 
sehr verschärfte Form an; für jedes geringfügige Vergehen, wenn z. B. der Soldat zu spät zum 
Appell kommt oder zu Heizzwecken aus einem Zaun ein Brett entfernt hat, oder ohne Erlaubnis in 
die Kantine geht, bekommt er Ohrfeigen. Auch die Prügelstrafe mit der Rute ist eine gewöhnliche 
Erscheinung. Diese barbarische Strafe ist durch offiziellen Befehl in allen Truppenteilen angeordnet 
worden und wird bei ganz geringfügigen Vergehen in Anwendung gebracht. Der schuldige Soldat 
muß sich vor versammelter Mannschaft hinlegen, erhält 25 bis 50 Rutenhiebe und muß danach sofort 
zum Exerzieren oder zur Arbeit antreten. Im allgemeinen fühlen sich die Soldaten in den Schützen 
gräben wohler als im Ruhequartier, weil sie dort weniger gehetzt und geplagt werden. Ich kann 
nur das eine sagen, daß die Behandlung in der Ruhestellung barbarisch ist. Wir hatten weder am 
Tag noch in der Nacht Ruhe. Am Tage bei jedem Wetter anstrengender Dienst, in der Nacht 
Schanzarbeit in den vordersten Schützengräben. Auf diese Weise konnte der Soldat keine 3 bis 4 
Stunden in einer kalten Scheune ausruhen, nur mit dem zerrissenen Mantel zugedeckt. Die Herren 
Offiziere dagegen fuhren in die nächste Stadt oder Ortschaft und brachten sich Frauenzimmer mit. 
Sie nahmen einen besonderen Unterstand für sich in Anspruch, wo sie sich betranken und dann die 
Soldaten für nichts und wieder nichts in rohester Weise prügelten." 
Ueber die Behandlung der genesenden Soldaten heißt es in diesen Aufzeichnungen: „Die Vor 
gesetzten der Rekonvaleszentenkommandos behandeln ihre Untergebenen unglaublich roh und un 
menschlich; dort wo der Soldat (der doch den Ehrentitel „Verteidiger des Vaterlandes" trägt) sich 
erholen und ausruhen soll, befindet er sich fast auf einer Stufe mit dem Sträfling. Um 7 Uhr 
morgens beginnt der Dienst auf dem Exerzierplatz und dauert bis um 1 / 2 12 Uhr, auch bei der 
größten Hitze. Leute, deren Wunden an den Händen und Füßen noch nicht zugeheilt sind, liegen 
auf dem Platze und werden mit Jnstruktionsunterricht beschäftigt. Zum Kasernendienst werden alle, 
auch die Leute mit noch blutenden Wunden, herangezogen. Verbunden werden diese Leute nur 
alle 2 Tage, so daß die Wunden sich entzünden und vereitern. Wenn dann diese Soldaten zur 
Untersuchungskommission kommen, die wöchentlich einmal die Prüfung auf Felddienstfähigkeit vor 
nimmt, wird ihnen vorgeworfen, daß sie absichtlich ihre Wunden offen gehalten hätten. Sie werden 
mit 10 bis 25 Rutenhieben bestraft und mit dem nächsten Transport an die Front geschickt." 
An der Wahrheit dieser Aufzeichnungen eines einfachen Soldaten, die die tatsächlichen 
Zustände im russischen Heer so schonungslos kennzeichnen, ist wohl nicht zu zweifeln. 
Sie lassen die oft so tatkräftig verwirklichte Sehnsucht der russischen Soldaten nach der 
deutschen Gefangenschaft verständlich erscheinen, erklären aber auch das Anwachsen der 
revolutionären Agitation unter den russischen Soldaten und ihre immer wieder vor 
kommenden Gehorsamsverweigerungen. 
Charakteristisch hiefür ist eine dem „Schweizerischen Preßtelegraph" (11. XI. 16) aus 
russischen sozialdemokratischen Kreisen zugegangene Abschrift eines Geheimrundschreibens 
des Stellvertreters des Stabes des Dünaburger Militärbezirks vom 15. September 1916 
an den Chef der Militärbezirks-Sanitätsverwaltung, der ausführt: 
„Es sind mir Mitteilungen zugegangen, daß unter den Soldaten der Abteilungen, die inner 
halb des Witebsker Gouvernements stationiert sind, in der letzten Zeit eine niedergedrückte Stim 
mung beobachtet wurde, wobei die kranken und verwundeten Soldaten, die sich in den Lazaretten 
und Krankenhäusern in ärztlicher Behandlung befinden, immer öfter auf die Notwendigkeit eines 
raschen Friedensschlusses zu sprechen kommen und zugleich auch eine kritische Haltung den Vorgesetzten
	        
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