Volltext: Der Völkerkrieg Band 13 (13 / 1918)

Die innere deutsche Politik im fünften Kriegshalbjahr 95 
Ich erwiderte Coßmann, daß ich diese Ausfafsungsweise völlig ablehnen müsse, daß ich ihn für 
falsch informiert halte, und erzählte unter anderem — (was mir im Winter auS zuverlässigen par 
lamentarischen Kreisen bekannt geworden war) —, daß die Angaben des Staatssekretär- v. Capelle 
über die Zahl der verfügbaren II-Boote von denen seines AmtSvorgängers wesentlich abgewichen 
wären. gez. Dr. Veit Valentin, a. o. Professor an der Universität Freiburg i. B. 
Natürlich gab es auch hierüber in der Presse eine wochenlange Auseinandersetzung. 
Die halbamtliche „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" äußerte sich schließlich zusammen 
fassend über den ganzen Streit wie folgt: 
„Wie liegt die Sache? In einem Privatgespräch, da- Profeffor Valentin mit Profeffor Coßmanu 
geführt hat, hat sich Valentin zur Abwehr heftiger, auch die Wahrhaftigkeit des Herrn v. Beth- 
mann Hollweg anzweifelnder Vorwürfe gegen die Politik des Reichskanzlers auf unrichtige Angaben 
bezogen, die tatsächlich über die Zahl der verfügbaren D-Boote im Umlauf waren, und dabei fälsch 
lich diese Angaben auf den Großadmiral v. Tirpitz zurückgeführt. Wie auS dem 
von Herrn Professor Coßmann veröffentlichten Briefwechsel zwischen dem Großadmiral v. Tirpitz und 
dem Reichskanzler bekannt ist, hat dieser in seiner Antwort auf die Beschwerde deS Herrn v. Tirpitz 
loyal anerkannt, daß die amtlichen Zahlen des Großadmirals mit denen übereinstimmten, die der 
Staatssekretär v. Capelle später gegeben hat. Um das Verlangen nach einer Untersuchung zu recht 
fertigen, wird nun behauptet, eS fände einplanmäßigesTreibengegendenGroßadmiral 
v. Tirpitz statt. DieS ist eine ganzwillkürlicheBehauptung, der nichts anderes zugrunde 
liegt, als der bekannte sachliche Gegensatz in der Frage der Führung deS II-Boot-KriegeS. Wenn 
dabei in verschleierter Weise angedeutet wird, amtliche Kreise beteiligen sich an einer Kampagne der 
Verdächtigung gegen den Großadmiral v. Tirpitz, so weisen wir diese Versuche, die Stimmung erneut 
zu vergiften, mit aller Schärfe zurück." 
Schließlich kam es zu einem Prozeß vor dem Münchener Landgericht. Professor 
Valentin gab hier an, daß er 31 Jahre alt, außerordentlicher Professor in Freiburg und 
seit kurzem nicht mehr im Auswärtigen Amte tätig sei. Er sei an der Zentralstelle für 
den Auslandsdienst beschäftigt gewesen und habe den Auftrag gehabt, für die Vorgeschichte 
und Geschichte des Krieges Material zur Bearbeitung für das neutrale Ausland zu 
sammeln. Ferner hätte er die Vorgeschichte des Krieges für Deutschland vorbereiten 
sollen. Ueber seine Aussprache mit Professor Coßmann machte er folgende Mitteilungen, 
die von psychologischem Interesse für die ganze damals zugespitzte Stimmung in beiden 
Parteilagern für und wider den Reichskanzler sind: 
„Coßmann", sagte er, „machte Angriffe auf die Reichsregierung und hat mich dadurch gereizt. 
Ich bin Historiker, was Coßmann nicht ist, ich hatte den Eindruck, daß Coßmann nicht kompetent sei, 
über die Persönlichkeit der Reichsleitung zu urteilen. Coßmann hatte ganz romantisch über Herrn 
v. Tirpitz gesprochen, waS mich zu den scharfen Aeußerungen reizte. Er sprach davon, daß zwei 
Richtungen im Reichsmarineamt und Differenzen beständen. Ich sprach von Differenzen zwischen 
Marineamt und Auswärtigem Amt und über die Zahl der II^Boote, aber nicht der versenkten Fracht 
räume. Wenn ich da sagte, ich hätte von Bekannten erfahren, daß das Auswärtige Amt sich in den 
Besitz der richtigen Zahl von hinten herum gesetzt habe, so habe ich die Wilhelmstraße und 
nicht Bethmann Hollweg gemeint. Drei Wochen später ist mir eröffnet worden, daß Tirpitz sich 
über mich beschwert habe. Der Reichskanzler hat mir eröffnen lassen, daß die Angabe, v. Tirpitz 
habe falsche Zahlen angeführt, unzutreffend sei." 
Professor Coßmann erklärte unter anderem: 
„Es kam zu einer besonderen Erregung, als das Gespräch sich auf Tirpitz lenkte, weil ich Herrn 
v. Tirpitz große Bedeutung beilegte. Ich sagte, es sei schade, daß ein Mann, der anfangs des 
Krieges als größte Autorität gegolten habe, jetzt in St. Blasien spazieren gehe. Da lächelte Valentin 
und sagte: „Sie glauben auch an den Mann mit dem großen Bart?" Weiter sagte er, ich über 
schätze die marinetechnischen Vorschläge, das sei alles nicht so. Er kam dann auf die Frage der 
Tirpitzschen „Fälschungen" zu sprechen, und das zu einer Zeit, in der gerade die Verdienste des 
Großadmirals v. Tirpitz nach der Seeschlacht am Skagerrak durch den Gegner anerkannt worden 
waren. Von diesem Manne wurde mir nun gesagt, er sei ein Verbrecher. Denn es war doch klar, 
daß, wenn Großadmiral v. Tirpitz die entscheidende Stelle der Reichsleitung betrüge, er ein Verbrecher
	        
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