Lagardes mitteleuropäische Gedankenwelt ist pangermanisch ge¬
färbt. Seine Achtung vor der Zukunft der nationalen Kulturen,
die die nichtdeutschen Völker in Mitteleuropa beanspruchen, ist
nur gering. Österreich hat nach ihm nur die Aufgabe, ein Kolonial¬
staat Deutschlands zu werden. Das gilt auch für Angarn. Im
Jahre 1853 dachte er sich Mitteleuropa in drei Gruppen zer¬
fallen: die nordöstliche um Preußen, die südöstliche mit den nicht-
deutschen Ländern Österreichs, das eigentliche Deutschland mit dem
Reich der sächsischen Kaiser und den rein deutschen Provinzen
Österreichs — die durch Gemeinsamkeit des Zollwesens, der Koloni¬
sation, der Leereseinrichtungen unauflöslich verbunden sind und
ein gemeinsames Parlament mit Bestimmungsrecht über Krieg
und Frieden besitzen. Zur Sicherung unserer Grenzen muß aber
Polen ebenso wie Elsaß-Lothringen zu Deutschland gezogen werden.
Die fernen Donauländer, namentlich Rumänien und Bulgarien,
verdienen die Beachtung Deutschlands. Im Jahre 1875 behandelt
er die „gegenwärtige Lage des Deutschen Reiches". Er erörtert
die russische Gefahr, die Anzuverlässigkeit der belgischen Neutralität.
Schutz gegen den drohenden Angriff von Rußland und Frankreich
bietet uns nur die Vereinigung Deutschlands und Österreichs, und
zwar durch eine Erbverbrüderung ihrer beiden Lerrscher, ein Ge¬
danke, der uns schon bei Joseph Görres zur Zeit der Freiheits¬
kriege begegnet.
„Den Frieden in Europa ohne dauernde Belästigung seiner
Angehörigen zu erzwingen, ist nur ein Deutschland imstande, das
von der Ems- zur Donaumündung, von Memel bis Triest, von
Metz bis etwa zum Bug reicht, weil nur ein solches Deutschland
sich ernähren, nur ein solches mit seinem stehenden Leer und dessen
erstem Ersätze das mit Frankreich verbündete Rußland Nieder¬
schlagen kann. Weil nun alle Welt Frieden will, darum muß
alle Welt dies Deutschland wollen und das jetzige Deutsche
Reich als das ansehen, was es ist, als eine Etappe auf dem
Wege zu Vollkommenerem, eine Etappe, welche zu dem end¬
gültigen mitteleuropäischen Staate sich so verhält, wie sich der
einst bestandene Norddeutsche Bund zum jetzigen Deutschen Reiche
verhalten hat."
Die wahre Einheit kann uns aber nach Lagarde durch kein
Reich zuteil werden, sie kann nur von innen heraus kommen.
Dies führt auf seine Religion der Zukunft, die, auf dem Christen¬
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