Die digitale Landesbibliothek Oberösterreich

sich gegen Ausgang des 17. Jahrhunderts, als mit den großen 
Kriegen Ludwigs XIV. und den letzten großen Türkenanstürmen 
die Gefahr für Mitteleuropa zu einer Lebensgefahr ersten Ranges 
wurde, ein politischer, staats- und völkerrechtlicher Ideenbau von 
origineller Gestalt, mit der Kraft der Entwicklung und Wirkung 
in die Zukunft. Es ist die geistige Welt, die Leibniz*) schuf. 
Zwei Schriften sind es besonders, die ihn des Namens, der 
erste Verkünder des mitteleuropäischen Gedankens zu sein, wert 
machen: die von der polnischen Königswahl und die von der 
Sicherheit des Reiches. Er stand erst im Anfang der zwanziger 
Jahre seines Lebens, als er den mitteleuropäischen Gedanken faßte. 
And es ist ein Beweis für die visionäre Kraft seines politischen 
Geistes, daß außer dem großen Druck, der ständig im Westen 
und Südosten lagerte, Rußlands Erscheinen auf der Weltbühne 
den unmittelbaren Anlaß zur Konzeption des mitteleuropäischen 
Gedankens gab. Auf Veranlassung seines Gönners, des Staats- 
mannes und ehemaligen kurmainzischen Ministers Freiherrn 
v. Boyneburg, verfaßte Leibniz für die polnische Königswahl eine 
Staatsschrift zugunsten des vom Großen Kurfürsten unterstützten 
Pfalzgrafen Philipp Wilhelm von Neuburg, für dessen Sache 
Boyneburg als Gesandter bei dem polnischen Reichstag — freilich 
vergeblich — tätig war. Die „Probe politischer Beweisführung 
für die polnische Königswahl, in neuer Schreibweise mit zwingen¬ 
der Gewißheit ausgeführt von Georg Alikovius Lithuanus" (1669), 
ein Name, hinter dem sich Gottfried Wilhelm Leibniz verbarg, 
bekämpft vor allem den russischen Bewerber. Denn Rußland, 
das Barbarenland, ist der wahre Feind Polens; durch Polen 
geht der Weg der Barbaren nach Deutschland, ins Äerz Europas. 
Beide Staaten erstreben den Frieden, ihre Interessen sind die 
gleichen wie die Europas: Schutz gegen die aufsteigende, damals 
noch mit den Türken ringende Macht des Ostens, deren Ziel die 
russische Weltherrschaft ist. Freilich glaubt Leibniz noch, diese 
in ihren Anfängen erkannte russische Gefahr durch die Macht der 
europäischen Bildung ablenken und dämmen zu können; so wird 
er später auch zum Freunde Peters des Großen. An der mittel¬ 
europäischen Einstellung seiner Gedanken ist aber damit nichts 
*) Gottfried Wilhelm Leibniz, 1646—1716, geb. in Leipzig, gest. in 
Lannover; Philosoph und Mathematiker; Gründer und Präsident der 
Akademie der Wissenschaften in Berlin. 
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