Volltext: "Mitteleuropa" [92]

ist. Die Erhebung ins Bewußtsein folgt ja doch der Heraus¬ 
bildung des Inhalts, der zum Bewußtsein gebracht wird, logisch 
nach. Nun pflegt die bewußte Erfassung nationaler Werte 
politische Formen anzunehmen: auch bei den Deutschen war das 
nicht anders. Sie knüpften das Bewußtsein ihrer deutschen Kultur 
an die politischen Ansprüche, die sie in ihrer Welt vertraten. So 
wuchs schon im Mittelalter ein starkes Nationalbewußtsein auf 
dem Boden der Kaiseridee empor. And indem die Kaiseridee, 
wie wir gesehen haben, in sich einen sittlichen Wert von univer¬ 
salem Charakter hatte, behaupteten die Deutschen mit der Kaiser¬ 
idee auch den Anspruch, das erste und führende Kulturvolk der 
Welt zu sein. Das ist eine unmittelbare Wirkung des Kaiser¬ 
tums auf das Nationalbewußtsein der Deutschen. Walter von 
der Vogelweide, der Sänger der Kaiserherrlichkeit, rühmt mit 
Stolz, wenn auch zunächst wohl nur für den Bereich des Ritter¬ 
tums, die deutsche Eigenart in Sitte und Zucht, für seine Zeit 
das Sinnbild edler Menschlichkeit. Der Anspruch auf politische, 
geistige, sittliche Führung, er blieb bei den Deutschen trotz aller 
geschichtlichen Entwicklung, trotz des Niedergangs der universalen 
Ideen, trotz des Äochfteigens aller feindlichen Kraft der Staaten 
an den Rändern des Reiches, trotz der Zersplitterung des Reiches 
durch die Ausbildung von Landeshoheiten und trotz des großen 
seelischen Risses, der mit der Reformation durch die Nation ging. 
And diese Idee erscheint noch immer groß, so stark ist selbst bei 
Fremden das Ansehen des deutschen Namens und das Verständnis 
der Vergangenheit der deutschen Nation. In seiner Wittenberger 
Rede weist Giordano Bruno den Deutschen die Zukunft der Äeroen. 
Jede politische Idee aber, die mehr sein wollte als ein un¬ 
gefähres Gefühl, ein bloßer Traum von der Zukunft der deutschen 
Nation, mußte die innere Lage Deutschlands kritisch betrachten, 
ehe sie einen politischen Aufbau Mitteleuropas zum Kampf gegen 
die Feinde von Osten und Westen wagen konnte. Die Reform 
der Neichsverfaffung wird zur Voraussetzung der Konstruktion 
Mitteleuropas, und dieses dringende Nächstliegende Problem läßt 
noch für Jahrzehnte die den politischen Verhältnissen von Europa 
längst entsprechende Idee eines Mitteleuropas schlummern. Zu 
Anfang und im Verlauf des 17. Jahrhunderts finden wir eine 
Fülle staatsrechtlicher Schriften, die sich um das Problem der 
Reichsverfassung bemühen, dennoch aber ihre fortschreitende 
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