vor; er hat mit jeder gearbeitet und mit jeder gekämpft und in
Wahrheit parteilos regiert. Das Fehlen irgendeiner schwachen
Seite oder sterblichen Stelle, von der aus er zu brechen ist, diese
weit über die Integrität des Charakters hinausgehende Arkraft
einer jeder Wendung der Lage gewachsenen, unerschöpflichen Selb-
ständigkeit ist seine persönliche Größe. Es sind nicht gewisse,
gleichsam systematisch politische Gedanken, es ist nicht irgendeine
Art von politischer Prinzipienlehre (wie bei den großen Staats¬
männern der preußischen Reformzeit nach 1800), die das Wesen
Bismarcks bezeichnen, die ihn etwa zu einem politischen Sokrates
machen würden und in einer Schule nachwirkten oder in einer
Partei organisiert wären, sondern es ist ein von seinem Lebens¬
werk gar nicht abzulösendes, unwiederholbares und rein persön¬
liches Ethos des Handelns — im reinen Denken trifft man es
wohl öfter an, aber da bleibt es unfruchtbar —, ein Ethos des
Handelns, ruhend weit mehr als aus der Genialität des Ver¬
standes, auf einer Souveränität des eigenen Gewissens, dem ich
aus der deutschen Geschichte nur eine Gestalt an die Seite zu
stellen wüßte: Luther.
Bismarck selbst hat nie ein Hehl daraus gemacht, daß für
ihn der Gottesgedanke der Rückhalt dieser über alle irdischen Maße
erhabenen Souveränität war. Er hat nicht zu den religiösen
Dingen jene Pilatusstellung eingenommen, die wir so oft an den
Spitzen der modernen Gesellschaft finden, wo Skepsis für Einsicht
und Fatalismus für Erfahrung gehalten wird. „Ich begreife
nicht, wie ein Mensch, der über sich nachdenkt und doch von Gott
nichts weiß oder wissen will, sein Leben vor Verachtung und
Langeweile ertragen kann/") Offene und kräftige Bekenntnisse zu
einem überweltlichen Quell der Dinge und der Kräfte und einem
überweltlichen, zielsetzenden, sinngebenden Willen alles Geschehens
und Handelns, zu Gott, dem Herrn, dem Richter, dem Helfer,
„der auch unsere Irrtümer zum Besten wendet", ?) durchziehen das
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