Volltext: Mappe I: In den Karpathen (Mappe 1 ; / 1916)

nebenher trotten und sich den milden Weisungen unserer Landsturmmannschaft, 
die ja selbst aus warmfühlenden Familienvätern bestand, fügen. So zog man 
Stunde um Stunde, oft tagelang, bis ein gesicherter Ort, eine geeignete Stätte 
ausersehen ward, wo diese oder jene Ansiedlung vorläufig sich selbst über.» 
lassen werden konnte. Nicht ganz; denn die Heeresleitung sorgte auch im weiteren 
Verlaufe für das Wohl der aus ihren Gemeinden Vertriebenen, stellte ihnen das 
entbehrliche Schlachtvieh zur Verfügung, half ihnen mit Stroh und Decken und 
Futter aus und gab ihnen dann beim Straßenbau und bei der Feldarbeit Gelegen' 
heit, sich zu betätigen und noch ein Stückchen Geld zu verdienen. 
Es ist interessant, zu vergleichen, wie die einzelnen Nationalitäten unter den 
Flüchtlingen ihren Schmerz äußerten, wie sie auf die Kalamität des Flüchten' 
müssens reagierten. Am stumpfsten benahmen sich die Ruthenen. Da ständen 
sie, das ganze Dorf, auf einen großen Knäuel zusammengeballt und warteten, 
daß man sie irgendwohin treibe. Initiative fehlte ihnen gänzlich. Sie waren 
hilflos, eingeschüchtert durch die neue, veränderte Lebenslage, der ihre Geistes' 
kraft nicht gewachsen schien. Sie wußten nur, daß ein Unglück über sie ge' 
kommen ist, aber ihre Schwerfälligkeit, ihr Mißtrauen, eine lauernde Angst, 
manchmal vielleicht auch ein Gefühl nicht ganz reinen Gewissens hemmten 
jeden Betätigungstrieb und hielten sie von jedem selbständigen Schritt, von dem 
sie Mißdeutung vermuteten, ab. Die Männer mit ihren tellerförmigen Mützen 
und langen, herabhängenden Haaren, die beim Nacken halbkreisförmig und glatt 
abgeschnitten sind, die Weiber mit ihren teppichartigen Schürzen, den breiten 
Gesichtern und stumpfen Nasen stehen dicht aneinander gepreßt und warten. Und 
oftmals werden sie, wie eine Herde ineinandergedrängt, von unserer Trainbe' 
deckung ins Hinterland dirigiert. 
Temperamentvoller erwiesen sich die Slowaken und Ungarn, Hier gab es 
Geschrei und Jammern oder Weibergekreisch und Weinen von Kindern. Was 
sie zurücklassen mußten, war, wenn auch ein armseliges Heim, so doch ein Heim 
einer etwas höheren Stufe. Bunt gebrannte Teller, Heiligenbilder auf Heiligen' 
bilder verzieren die weißen Kalkwände ihrer Zimmer, kunstvolle Stickereien, in 
langen Wintertagen eigenem Fleiße abgerungen, liegen auf den hohen Federbetten 
oder in tiefen Holztruhen, wo die Bäuerin alle ihre Schätze aufbewahrt. Diese 
zurücklassen zu müssen oder den Ungewißheiten einer Flucht auszusetzen, ist 
ein Leid, das der Flüchtling stark empfindet. Bei jeder längeren Rast äußert 
sich der Sinn für Heimat und Wohnsitz in besonders rührender Weise. Wenn 
die Pferde ausgespannt waren und zur Weide geführt wurden, nahmen die 
Frauen die buntgestreiften Decken und Polster von den Wagen, breiteten sie auf 
der Erde aus und begannen im Freien eine improvisierte Häuslichkeit in mög' 
lichster Annäherung an das gewohnte Leben. Die Kochkessel wurden hervor' 
gezogen, ein Feuer angezündet und ein kärgliches Mahl bereitet. Die Männer, 
die schwere Arbeit verrichtet haben, die stundenlang marschiert sind, bringen ihr 
Schuhzeug in Ordnung, fällen Baumstämme und trachten, sich der Situation 
irgendwie anzupassen.
	        
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