Volltext: Mappe I: In den Karpathen (Mappe 1 ; / 1916)

20'23 D die Soldaten mit den Schultern und marschieren weiter. „Wenn wir das wüßten 
— umgruppieren — andere Stellung beziehen — den Feind umgehen — daher 
kamen wir auf die Straße . . .“ „Habt ihr was zu essen, zu trinken?“ Jetzt 
zucken die Bauern mit den Achseln ... Die Grenzbewohner sind im Laufe 
des Krieges sonderbare Strategen geworden. Sie spüren, sie fühlen, sie erkennen 
es an vielerlei kleinen Anzeichen, was an der Kampffront vor sich geht. Sie 
wissen, wie die Dinge stehen, und sie handeln danach. Allerdings, es gibt 
Fatalisten, die mit edler Starrköpfigkeit ihren Boden unter keinen Umständen 
verlassen und, wenn schon Granaten über die Felder fetzen und in ihren Grund 
tiefe Löcher reißen, sie harren aus, sie pflügen unbekümmert weiter und säen 
und hoffen zu ernten. So haben unsere Soldaten sie oft staunend beobachtet . . . 
Der Marsch der Truppe dauert an, der waffenstarrende blaugraue Wurm schlängelt 
sich noch die Straße hinab und schon sind die Bauern alle aus den Häusern. 
Wer weiß, vielleicht kommt der Russe vorbei. Sie ziehen ihre Wägelchen vors 
Tor, spannen die Pferde oder Ochsen ein, laden ihr Hausgerät auf, ein jammer' 
volles Hab und Gut, und schon schließen sie sich mit Kind und Kegel den 
Truppen an. Bald ist der Weg mit den kleinen Kolonnen der Eingebomen, der 
Flüchtlinge blockiert, die landeinwärts ziehen. Wohin, — das wissen sie selbst 
nicht, nur fort, um der Bedrohung durch den Feind zu entgehen; denn, was es 
heißt, den voranschwärmenden Kosaken in die Hände zu fallen, das wissen alle. 
Zu den schmerzlichsten Begleiterscheinungen des Krieges gehört der flüch' 
tende Bauer. Der Städter, so arg eine Evakuierung auch ihn trifft, ist niemals 
so innig mit der Scholle, seiner Wohnung, seinem Leben am bestimmten Orte 
verwachsen wie der Landmann. Gewöhnlich — wenn man von den Fällen der 
Friedensauswanderer absieht — haben die Ureltern schon am selben Fleck gelebt, 
wo heute die Kindeskinder und deren Kinder wohnen. Niemals haben sie den 
Umkreis ihrer Dörfer verlassen, eine Fahrt in den nächsten Marktflecken war 
die Grenze ihrer Reisemöglichkeit. Da kam der Krieg und trieb sie zwingend 
und brutal aus ihrem Nest. Sie haben ihn nicht verschuldet, sie haben dem Feind 
nichts getan, sie sind die unschuldigsten Opfer der großen Politik, einer entfernt 
wirkenden Haßidee. 
Als die Russen nach den ersten Kämpfen unseres VII. Korps sich vermassen, 
in die ungarische Ebene hinabzusteigen, und wir, einer höheren strategischen 
Idee gehorchend (sie kam im Durchbruch von Gorlice mit glänzendem Ergebnis 
zur Ausführung), einiges Gebiet dem Feinde preisgaben, da traf das Los de» 
Flüchtlings den Slowaken, den Ruthenen, den Oberungarn, den Juden. Wo un¬ 
sere Kommandos rechtzeitig und planmäßig handeln konnten, ging das Schicksal 
noch in schonenderWeise mit den Armen um. Meist nahm unser Train die 
Dorfbewohner unter seinen Schutz. Alles, was an Viehstand, Rindern, Ziegen und 
Schafen im Dorfe lag, wurde vorangetrieben und dann folgten die kleinen über' 
dachten Holzwägelchen, in deren Tiefen nebst Decken und Polstern und gebrech' 
lichem Hausgerät die Alten und Kranken und die kleinsten Kinder fuhren. Die 
übrige Bevölkerung, es waren ja zumeist nur Weiber und Krüppel, mußten 
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