Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Der rumänisch-bulgarische Streit. 
na 
erblickt, der den bulgarischen Staat geschaffen 
hat. Die Erinnerung an jene glorreichen Zeiten, 
an die heldenmütigen Kämpfe und die großen 
Opfer, die wir uns gemeinsam auferlegt haben 
und die der Sieg mit Erfolg gekrönt hat, wird 
immerdar ein schönes und edles Blatt in unse 
rer Geschichte bleiben. 
Heute wenden sich alle meine Gedanken 
mit der innigsten Liebe dem erhabenen Herr 
scher zu, um ihm meinen tiefen Dank auszu 
sprechen, das) er Eure kaiserliche Hoheit aus- 
ersehen hat, mir die Insignien der hohen Würde 
zu überbringen, die er mir verliehen hat. Ich 
wüßte meine Dankbarkeit nicht besser zu be 
weisen, als indem ich die glühendsten Wünsche 
für das GlückSr. kais. Majestät und für den Ruhm 
seiner tapferen Armee zum Ausdruck bringe. 
Möge die göttliche Vorsehung ihm eine lange 
und friedliche Regierung gewähren, die die Ent 
wicklung und das Heil seines großen Reiches 
sichert. Von diesen Gefühlen durchdrungen erhebe 
ich mein Glas auf das Wohl Ihres erhabenen 
Souveräns und der ganzen kaiserlichen Familie. 
Es lebe Se. Majestät Kaiser Rikolaus. 
Großfürst Rikolaus Michailowitsch antwor 
tete mit folgendem Trinkspruch: 
Sire l Ich erhebe mein Glas auf das Wohl 
Eurer Majestät, Ihrer Majestät der Königin, 
der erhabenen königlichen Familie, Rumäniens, 
sowie auf die Brüderlichkeit unserer ruhmreichen 
Armeen, die rumänische und die russische Armee, 
die vor 35 Jahren vor plewna am 28. Ro- 
vember 1677 von Eurer Majestät so glänzend 
befehligt wurden. Hurra! 
König Earol hatte von einem Handschreiben 
des Zaren gesprochen. Dieses Handschreiben 
hatte folgenden Wortlaut: 
Mein Herr Bruder) Von dem Wunsche be 
seelt, die hohen militärischen Tugenden Eurer 
Majestät zu ehren, sowie die Erinnerung an 
die kostbare Waffenbrüderschaft unserer beiden 
Länder zur Zeit, als sich die rumänische Armee 
unter der hohen Führung Eurer Majestät in 
dem unvergeßlichen Jahre 1677 mit Glan) be 
deckte, zu besiegeln, habe ich Sie am 17. Sep 
tember zum Marschall meiner Armee ernannt, 
und meinen Herrn Onkel, den Großfürsten 
Rikolaus Michailowitsch, beauftragt, Ihnen in 
meinem Ramen an dem denkwürdigen Jahres 
tage der Einnahme von plewna den Marschall 
stab zu überbringen. 
Ich schmeichle mir mit der Hoffnung, daß 
Eure Majestät in diesem Akte einen neuen 
Beweis meiner unwandelbaren Gefühle für Sie 
zu erblicken geruhen werden. 
Die Freundschaft, die uns vereinigt, wird 
— davon bin ich überzeugt — dazu dienen, 
die Bande der Brüderlichkeit zwischen unseren 
beiden Völkern fester zu knüpfen. 
Indem ich meine Wünsche für die Wohl 
fahrt und den Erfolg Rumäniens unter der 
weisen Regierung Eurer Majestät zum Aus 
druck bringe, bitte ich Sie, die Versicherung 
der hohen Achtung und der unwandelbaren An 
hänglichkeit entgegenzunehmen, mit denen ich, 
mein Herr Bruder, bin Eurer Majestät guter 
Bruder Rikolaus. 
Was wollte Rußland von Rumänien, daß 
es sich plötzlich der alten Waffenbrüderschaft so 
intensiv erinnerte? Rumänien hatte doch keinen 
Grund, diese Erinnerungen irgendwie erfreulich 
zu finden. Die rumänische Armee hatte damals 
mit größter Tapferkeit und Aufopferung nicht 
für sich, sondern für Rußland gekämpft, und 
zum Dank dafür hatte Rußland Rumänien 
Bessarabien weggenommen, das reiche Land, 
das für das junge Königreich so bedeutungs 
voll gewesen wäre. Der Streifen Dobrudscha, 
den Rumänien damals bekommen hatte, konnte 
keinesfalls als eine Entschädigung für Bess 
arabien gelten. In richtiger Einschätzung dieser 
Art russischer Dankbarkeit hatte das rumänische 
Volk sich von Rußland abgewandt; Rumänien 
hatte sich dem Dreibund genähert und galt als 
Bollwerk der Dreibundspolitik im Osten. Die 
Freundschaft zwischen Rumänien und Österreich- 
Ungarn war außerordentlich intim geworden 
und hatte sich zu Abkommen verdichtet, die 
bestimmend für die Politik auf dem Balkan 
werden konnten. 
Run kam Rußland plötzlich mit seinen alten 
kriegerischen Erinnerungen; der Zar erwies König 
Earol eine außergewöhnliche Auszeichnung. Das 
zu einer Zeit, da Rumänien sich ohnedies in 
folge des Balkankrieges in einem Zustande 
nervöser Überredung befand. Denkt man nicht 
unwillkürlich an den Versucher, wenn man sich 
das Vorgehen Rußlands vergegenwärtigt? Die 
russische Politik hat von jeher kein anderes Mo 
tiv als das des Eigennutzes gekannt, und wenn 
der Zar sich plötzlich des rumänischen Siegers 
von plewna erinnerte, so hatte diese Erinnerung 
einen sehr bestimmten Hintergrund. Die rus 
sische Politik ging darauf aus, den Einfluß des 
Dreibundes auf dem Balkan zu verdrängen 
und insbesondere Österreich-Ungarn vollständig 
von der Halbinsel zu vertreiben. Der Krieg der 
Balkanverbündeten, der ja nur durch Rußlands 
politischer Mithilfe geführt werden konnte — 
unter russischer Patronanz war der Balkanbund 
entstanden — richtete sich letzten Endes gegen 
Österreich-Ungarn. Die Vertreibung der Türkei 
aus Europa war das Mittel, Österreich-Ungarn 
vom Balkan zu verdrängen und dort ein 
unter russischem Protektorat stehendes großes 
Südslawenreich zu errichten, das Osterreich-Un-
	        
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