Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Die Aufnahme des Programms für die Reunion. 
Staatssekretär Sir Edward Grey hatte also 
das Programm der Botschafterreunion, auf das 
die Großmächte sich geeinigt hatten, dargelegt. 
Daß alle Großmächte sich an dieser Reunion 
gern beteiligten, kann man nicht sagen. Öster 
reich-Ungarn vor allem mußte befürchten, auf 
der Reunion majorisiert zu werden, denn wenn 
auch die Beschlüsse der Reunion nur im Ein 
verständnis mit den Regierungen erfolgen und 
ohne Verbindlichkeit sein sollten, so legte die 
Beschickung dieser Konferenz gewisse Verpflich 
tungen auf, die unter Umständen lästig werden 
konnten. 
Am 10. Dezember wurde von offiziöser Seite 
ein Umriß der Haltung gegeben, die Österreich- 
Ungarn auf der Botschafterkonferenz einnehmen 
würde. Es hieß: 
1. Lehnt Österreich-Ungarn ab, die Zession 
irgendeines Teiles der albanesischen Küste an 
eine Balkanmacht zu diskutieren. Selbst die 
serbische Regierung, im Unterschied zu der serbi 
schen Militärpartei, ist bereit, dieses Prinzip der 
Integrität und die Autonomie Albaniens anzu 
erkennen. Österreich-Ungarn läßt eine Diskussion 
hierüber nicht zu, höchstens eine Diskussion über 
die Grenzen Albaniens mit Ausschluß der See 
küste. Es verlangt auch, daß Serbien deutlich 
erklärt, daß es die Grenze Albaniens respek 
tieren wird. 
2. Verlangt Österreich-Ungarn Berücksichti 
gung seiner Interessen bei den kommenden Ver 
änderungen bei den Orientbahnen. Die Ver 
waltung dieser Bahnen wird infolge der türkischen 
Gebietsabtretungen Veränderungen erfahren. Auf 
jeden Fall muß entweder der ungehinderte Be 
trieb der Bahn von den neuen Herren des 
Landes garantiert oder die Gesellschaft ange 
kauft werden. Akzeptable Vorschläge der Balkan 
staaten werden nach ihrer Ausarbeitung, Dis 
kussion und schriftlichen Formulierung der Bot 
schafterkonferenz mitgeteilt werden. 
3. Verlangt Österreich-Ungarn eine solche 
Revision seiner Handelsverträge mit Serbien 
und Bulgarien, die es dafür entschädigen wird, 
daß Teile der Türkei, die österreichisch-ungari 
sches Absatzgebiet sind, serbisch oder bulgarisch 
werden. Österreich-Ungarn hat aber diese Frage 
noch nicht angeschnitten. 
Es war selbstverständlich, daß Österreich- 
Ungarn seine Forderungen erst anmeldete, ehe 
es sich an die Verhandlungen der Botschafter 
band. Von Sir Edward Grey wie von poin- 
care war darauf hingewiesen worden, daß die 
Bestrebungen der Mächte darauf gerichtet sein 
müßten, daß keine Großmacht sich allein in die 
Balkanhändel mische, beziehungsweise ihre In 
teressen für sich allein geltend zu machen suche. 
Diese Forderung richtete sich selbstverständlich 
gegen das meist interessierte Österreich-Ungarn 
und deshalb mußte die Regierung der Monar 
chie, wenigstens in großen Umrissen, die Bedin 
gungen bekannt geben, unter denen sie die 
Reunion in London beschicken konnte. 
Von österreichischer offiziöser Seite wurde 
ferner unterm 13. Dezember über die Aufgaben 
der Botschafterreunion geschrieben: 
Die Boischafterreunion in London, die wahr 
scheinlich am 16. oder 17. beginnen wird, hat 
die Ausgabe, einen Gedankenaustausch über den 
Interessenkreis der Mächte bei der Regelung 
der Balkanfragen herbeizuführen. Ihr gleich 
zeitiges Zusammenfallen mit den Friedensver 
handlungen in London darf keineswegs so auf 
gefaßt werden, als ob die Mächte zuerst die 
Friedensabmachungen abwarten wollten, um sie 
dann zu prüfen und ihren Standpunkt dazu zu 
präzisieren. Der Vorgang wird vielmehr der 
sein, daß die Mächte unabhängig von den Frie 
densverhandlungen versuchen werden, sich darauf 
zu einigen, was sie zur Sicherung ihrer Inter 
essen auf dem Balkan verlangen. Diese Fest 
stellung des Interessenkreises der Mächte wird 
den Unterhändlern bei den Friedensverhand 
lungen als Richtschnur dienen können und ihnen 
Gelegenheit geben, sie bei den Friedensabma 
chungen zu berücksichtigen. Die Botschafter 
reunion ist infolgedessen gänzlich unabhängig 
von dem Verlaufe der Friedensverhandlungen, 
sie ist ein Instrument zur Vereinfachung des 
Gedankenaustausches unter den Mächten und 
dürste ungefähr 8 bis IO Tage dauern. Die 
Dauer der Friedensverhandlungen läßt sich bei 
den großen Meinungsverschiedenheiten, die ge 
rade in den wichtigsten Punkten zwischen der 
Türkei und den Balkanverbündeten bestehen, 
vorläufig überhaupt nicht abschätzen. 
Die Konversation unter den Mächten dauert 
fort. Sie ist seit Beginn des Balkankrieges 
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