Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Eindringen der Albanesen in neuserbisches Gebiet. 
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die muselmanischen Gemeinden nicht nur in den 
abgetretenen Gebieten Westthraziens, sondern 
auch in Altbulgarien konnten nach dem Friedens 
vertrag einen Staat im Staate bilden. Trotz 
dem, Bulgarien war kein anderer Nusweg ge 
blieben, es mußte sich um jeden, auch um den 
höchsten preis mit der Türkei verständigen, 
wenn es nicht den letzten Nest der eroberten 
Gebiete verlieren wollte. Durch den Friedens 
vertrag verblieb ihm wenigstens ein Teil Thra 
kiens und die türkische Negierung hat durch 
loyale Einwirkung auf die Leiter der Unab 
hängigkeitsbewegung in Westthrazien dafür ge 
sorgt, daß von dieser Seite der bulgarischen 
Herrschaft keine Schwierigkeiten mehr bereitet 
wurden. 
Der türkisch-bulgarische Friedensvertrag ist 
im Wortlaut bisher nicht veröffentlicht worden; 
man hat nur erfahren, daß auch geheime Zu 
satzabkommen getroffen wurden. Daran ist viel 
fach die Meinung geknüpft worden, als ob 
Mischen Bulgarien und der Türkei bestimmte 
Vereinbarungen in bezug auf die anderen Balkan 
staaten, vor allem in bezug auf Griechenland 
und Serbien getroffen worden wären. Schon 
während der türkisch-bulgarischen Verhandlungen 
hatte sich nämlich das türkisch-griechische Ver 
hältnis scharf zugespitzt. Man glaubte in Europa, 
daß die Türkei die Absicht habe, auch Griechen 
land einen Teil des abgetretenen Gebietes wie 
der abzunehmen. Ob diese Absicht in Konstan 
tinopel wirklich bestand, läßt sich nicht sagen. 
Aber daß zwischen der Türkei und Bulgarien 
gewisse Vereinbarungen für den Fall eines neuen 
Krieges getroffen wurden, ist nicht ganz unwahr 
scheinlich. Daß die bulgarischen Delegierten dar 
auf hinarbeiteten, ist als sicher anzunehmen, 
denn in Sofia wie in Konstantinopel war man 
überzeugt, daß der Friede von Bukarest in ab 
sehbarer Zeit einer Nevision durch die Waffen 
unterzogen werden würde. Man war überzeugt, 
daß die Zuteilung Mazedoniens an Serbien 
unhaltbare Zustände schaffen würde, weil die 
Bevölkerung Mazedoniens die serbische Herr 
schaft als eine Fremdherrschaft empfinden mußte. 
Man war überzeugt, daß die Begrenzung Al 
baniens, wie sie von der Botschafterkonferenz 
in großen Zügen beschlossen wurde, sich nicht 
aufrecht erhalten lassen würde. Und schließlich 
war für die Türkei die Inselfrage noch ungelöst. 
Der Friede auf dem Balkan schien so schwäch 
lich, daß man ihm keine lange Dauer voraus 
sagte und es wäre von den bulgarischen Dele 
gierten nur klug gewesen, wenn sie diesmal 
wenigstens sich vor dem Ausbruch eines neuen 
Brandes bis zu einem gewissen Grade sicher- 
gestellt hätten. Die neue Erschütterung auf dem 
Balkan ließ nicht lange auf sich warten. 
Eindringen der Albanesen in neuserbisches Gebiet. 
Londoner Botschafterkonferenz hatte 
die Nord- und Nordostgrenze Alba 
niens bereits in großen Zügen fest- 
a gelegt. Eine internationale Abgren- 
zungskommiffion sollte später die Grenzlinie 
trassieren, aber in der Hauptsache stand bereits 
fest, was serbisch, was montenegrinisch und was 
albanesisch sein sollte. Wir haben schon erwähnt, 
daß die Grenzfestsehung sehr zuungunsten des 
albanesischen Volkes geschah. Als Österreich- 
Ungarn auf der Londoner Botschafterkonferenz 
Djakova für Skutari preisgab, erkannte man 
bereits, daß der neue Staat Albanien ein Torso 
wenigstens vom ethnographischen Standpunkt 
aus bleiben würde. Djakova, eines der Zentren 
des albanesischen Lebens, Dibra, Jpek, prizrend, 
alle wichtigen Städte an der Nord- und Ost- 
grenze waren von Albanien abgetrennt und den 
Siegern gegeben worden. Diese Verstümmelung 
gehört zu den schwersten politischen Fehlern, die 
jemals begangen worden sind. Ein Volk wurde 
hier seiner besten Gebiete beraubt und in un 
wirtliche Berge zurückgedrängt, das ebenso An 
spruch auf eine nationale Existenz hatte, wie die 
anderen Balkannationen. Aber auch wirtschaftlich 
war diese Einschnürung für das neue Albanien 
von größtem Schaden. Die Städte, die nun auf 
serbischem Gebiet lagen, waren bisher die Stapel 
plätze für die Bedürfnisse der albanesischen Berg 
bewohner gewesen. Auf den Märkten dieser 
Städte hatten die Albanesen die spärlichen Er 
zeugnisse ihres rauhen Landes gegen Lebens 
mittel, gegen Waffen und Munition eingetauscht. 
Nun waren diese Märkte im Besitz der Serben 
und Montenegriner, und die Todfeindschaft 
zwischen den Slawen und den Albanesen zeigte 
sich vom ersten Tage an. Die serbische Herrschaft 
lastete schwer auf den albanesischen Bewohnern 
Neuserbiens. Die Pazifizierung durch Pulver 
und Blei war zwar ziemlich schnell vor sich ge 
gangen, in den Städten und in den Dörfern 
herrschte die Nuhe des Grabes. Es wird nie 
festgestellt werden können, wie viele Tausende 
von Albanesen „justifiziert" worden sind, ohne 
daß man sich die Mühe machte, sie vorher an 
zuklagen. Man hatte die Praxis, Albanesen, 
die irgendwie verdächtig schienen, daß sie mit 
der Neuordnung der Dinge nicht ganz zufrieden
	        
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