Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Schrecken des Meilen Krieges. 
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unbeschreiblich elend aus, zerlumpt und bar 
füßig, verhungert und krank. Mißtrauisch blick 
ten sie nach der Decke unserer Behausung. Aber 
uns gab es noch ein Stockwerk; auf die dicken 
Balken alter Zeit waren dünne Bretter genagelt, 
nur eine Lage, das war der Fußboden. Oben befand 
sich eine Art Krankenhaus; wir hörten jedes Wort, 
jedes Stöhnen und den ewigen Lärm, durch 
den sich die Abkömmlinge der alten Griechen 
überall auszeichnen. Verdächtige Flüssigkeiten 
tropften durch die Ritzen auf uns herab, vor 
sichtig und mißtrauisch bewegten sich die türki 
schen Gefangenen in unserem Raum, als sie 
ihn reinigten. Wenn einmal eine Zeit kommen 
sollte, da man in Bulgarien den schlechten Ein 
fall haben würde, Gleiches mit Gleichem zu 
vergelten, so würde es nicht leicht sein, in ganz 
Bulgarien einen würdigen Aufenthaltsort für 
Reugriechen zu finden. 
3 Monate währte diese L)ual; Briefe er 
hielten wir nicht, von Zeitungen waren nur 
griechische gestattet, wenn wir Briefe schreiben 
wollten, mußte es auf griechisch sein. Den Haupt- 
leuten und Leutnants zahlte man 100 Drach 
men monatlich; so viel kostete das Essen, das 
ein verruchter Küchenkünstler uns vorsetzte und 
das wir auf den Brettern unserer Betten ver 
zehrten. Einer von uns, der junge Fähnrich Sa- 
wow, durfte einmal auf besondere Verwendung 
einen bulgarischen Brief schreiben. Er schrieb: 
Wir werden hier wie die Räuber und Diebe 
behandelt und leiden Rot an allem. Am 15. Ok 
tober erschien der Gefängniswächter, Major 
Manolitas, er gab uns die seit Monaten la 
gernden Briefschaften und kündigte uns an, daß 
wir am nächsten Tage abreisen würden. Spät 
in der Rächt führte man uns auf einen 
Dampfer; die Rauplier ließen uns ohne Ab- 
schiedsgruß ziehen. Ruf dem Dampfer, der uns 
durch Stürme und Unwetter nach Volo brachte, be 
gleitete uns ein liebenswürdiger griechischer Leut 
nant, Adrianopulos. In Volo trafen wir einen 
Teil unserer Soldaten wieder. Sie weinten vor 
Freude, ihre Offiziere wieder zu sehen. Von 
dem Dampfer „Varna" wehten unsere bulga 
rischen Dreifarben; wir waren wieder auf hei 
mischem Boden. Im Ausfahren aus der Bucht von 
Volo sahen wir die kleine Teufelsinsel Trikeri, wo 
viele unserer Soldaten monatelang ohne jeden 
Schutz gegen die Witterung gelegen hatten. Das 
Brot war ihnen von Volo aus in Boten an 
gefahren worden, nahe der Küste hatte man die 
Brote ins Meer geworfen, und wer sein Brot 
haben wollte, konnte es sich aus dem Wasser 
holen. Einen ärztlichen Dienst gab es auf der 
Insel nicht, dagegen trieb der griechische Arzt 
einen Handel mit Lebensmitteln. Tausende Bul 
garen blieben noch auf der Insel zurück. 
Dardanellen und Bosporusl Rahe am Ufer 
zieht unser Dampfer vorüber. Aus den Fenstern 
grüßen die türkischen Frauen. Kein Zweifel, 
daß sie uns als Bulgaren erkennen, denn Tür 
ken tragen keine Schirmmützen. Und dennoch 
grüßen sie mit bunten Tüchern. Welch ein Er 
gebnis des vor einem Zahre begonnenen Krie 
ges) Die türkischen Gegner sind unsere Freunde 
geworden und wir die ihrigen,- gemeinsame 
Feinde sind unsere Freunde von damals. Möge 
es so bleiben. 
So weit der bulgarische Arzt, dessen Bericht 
gewiß den Eindruck vollster Wahrheit macht. 
Von anderer Seite wurden noch schlimmere 
Dinge gemeldet und die aus der Gefangenschaft 
heimgekehrten bulgarischen Offiziere haben einen 
flammenden Protest an den griechischen Mini 
sterpräsidenten wegen der unwürdigen Behand 
lung der Gefangenen gerichtet. Viele von 
diesen sind freilich nicht mehr zurückgekehrt; 
wenn bulgarische Berichte richtig sind, sind sie 
zu Dutzenden erschlagen oder ins Meer gewor 
fen worden. 
Breiten wir den Schleier des Schweigens 
über dieses traurigste Kapitel des Krieges, das 
uns fast an der Menschlichkeit auf dem Balkan 
zweifeln läßt. Die „Befreier" aus dem Joche 
der Türken haben ärger gehaust, als die Tür 
ken vor Jahrhunderten in Europa; in ihrem 
furchtbaren Haffe haben sie einander zerfleischt, 
und eine Atmosphäre des Rachedurstes geschaf 
fen, die sich wie eine dichte Wolke über den 
Balkan lagert. Der zweite Krieg ist erstickt in 
Blut, im Rauch der eingeäscherten Städte und 
Dörfer, in bestialischen Verbrechen entmenschter 
Horden.
	        
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