Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Die Ermordung Mahmud Schefket Paschas. 
^he wir auf die neue türkische Aktion 
des näheren eingehen, must eines 
tragischen Ereignisses gedacht werden, 
das Konstantinopel in die gröstte 
Aufregung versetzte, und in der ganzen Kultur 
welt einen lebhaften Widerhall erregte. Am 
11.Juni 1913 wurde der türkische GrostwesirMah- 
mud Schefket Pascha auf dem Wege nach der 
Pforte von Unbekannten erschossen. Mörderhände 
beseitigten einen Mann, der seinem Vaterlande 
ehrlich gedient hatte, der sein Möglichstes getan 
hatte, um den Zerfall des osmanischen Reiches 
aufzuhalten. 
Uber die Tat selbst erzählen Augenzeugen: 
Mahmud Schefket Pascha und sein Adjutant 
fuhren im Automobil vom Kriegsministerium 
zur Pforte. An einer engen Strastenstelle wurde 
das Automobil plötzlich durch ein anderes Auto 
mobil aufgehalten; etwa >0 Menschen drängten 
sich um das Automobil des Grostwesirs; es 
wurden mehrere Revolverschüsse abgegeben. 
Mahmud Schefket Pascha sank in das Auto 
mobil zurück. Eine Kugel hat sein Gehirn 
durchbohrt. 
Einen zusammenfassenden Bericht finden wir 
in einer Konstantinopeler Korrespondenz der 
„Schlesischen Zeitung", datiert vom 14. Juni. 
Es heistt da unter anderem: 
In angenehmer Stimmung befinden sich die 
Bewohner Konstantinopels nicht. Der Belage 
rungszustand ist in seiner schwersten Form über 
die Stadt verhängt. Das passieren der Strasten 
ist allen, denen es nicht gelungen ist, sich einen 
Passierschein zu besorgen, nur bis IO Uhr abends 
gestattet, und da nur einer verschwindend kleinen 
Zahl von Ausländern, wie Botschafts- und 
Konsulatsbeamten, Ärzten und noch einigen 
wenigen Auserlesenen, Passierscheine ausgestellt 
worden sind, heistt es, die schwülen Sommer 
abende fein sittsam in seinen 4 Wänden zuzu 
bringen. Das ist den peroten, denen sonst in 
ähnlichen Fällen stets eine Ausnahmestellung 
zugedacht war, recht verdriestlich. Man ist daher 
verstimmt und wünscht den Mördern Mahmud 
Schefket Paschas von herzen, was sie ver 
dienen. 
Ob aber die Ermordung Mahmud Schef- 
kets einen nachhaltigen Eindruck auf die ver 
schiedenen Volksschichten hervorgebracht hat, ist 
bei einer so zusammengewürfelten und von so 
verschiedenen Interessen geleiteten Bevölkerung, 
wie es die hiesige ist, schwer zu beurteilen. Der 
Eindruck, den objektive Beobachter vom ersten 
Moment an nach dem Verbrechen empfanden, 
war angesichts der Riederträchtigkeit, die da 
verübt wurde, äusterst peinlich. Diejenigen, die 
dem ehedem allgemein vergötterten Mann die 
letzten Ehren erwiesen, waren gewist von auf 
richtiger Trauer erfüllt. Als im Hofe des Kriegs 
ministeriums der niedrige, schmale, mit kostbaren 
Decken umhüllte Sarg auf den einfachen Holz 
tisch gestellt wurde, der zum Zeichen, dast er zu 
einer ganz austerordentlichen feierlichen Handlung 
dienen sollte, mit einem Pilgermantel aus Mekka 
überdeckt wurde, da sah man ehrlichen Schmerz 
und Rührung bei den Männern, die sich in 
ehrfurchtsvoller Entfernung auf den Treppen des 
Hofes zusammendrängten, um das Totengericht 
über den Dahingemordeten zu halten. And als 
der Hodscha die Frage an die Anwesenden rich 
tete, ob jemand da sei, der dem Toten vorzu 
werfen hätte, dast er nicht seinem Vaterlande 
bis zum letzten Blutstropfen gedient habe, da 
blieb kein Auge trocken. Vielleicht konnte man 
aber auch hier schon Offiziere erblicken, die sich 
in kühler Reserve abseits hielten. Je mehr man 
sich von den Orten der offiziellen Trauerkund 
gebungen entfernte, desto häufiger hatte man das 
Empfinden, nicht auf trauernde, sondern von 
dem Gefühl einer gewissen Genugtuung, ja 
sogar von Schadenfreude erfüllte Menschen zu 
stosten. „Wie du mir, so ich dir," las man mit 
voller Deutlichkeit auf diesen Gesichtern. 
Wer hat nun aber diesen Mord auf dem 
Gewissen und was hat ihn verursacht? Da 
must man sich vor allem sagen, dast den Orien 
talen ein Menschenleben, und sei es das des 
Besten und Edelsten, nichts gilt, wenn Rache, 
parteihast und Mistgunst sie beseelen. So war 
es, und so wird es bleiben. Run kann man die 
Motive, die zu diesem Morde geführt haben, 
zwar nicht verzeihen, aber doch verstehen. Als 
der Tod Razim Paschas ungesühnt blieb, hatten 
seine Anhänger und Freunde offen und oft 
genug erklärt, dast sie sich nur so lange zurück 
halten würden, als man dem Gegner im Kampfe 
gegenüberstehe, dast sie aber sühnefordernd her 
vortreten würden, sobald der Kampf mit dem 
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