Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Lin Expose des Ministerpräsidenten poincare. 
V^^'m 15. Dezember gab in der Sitzung 
Dm/*I des Kammerausschusses für auswärtige 
Angelegenheiten Ministerpräsident und 
Minister des Äußern poincare inter 
essante Erklärungen ab. Der Minister führte 
aus, er sei noch zu großer Reserve verpflichtet, 
da die Physiognomie der Ereignisse, die sich 
bereits sehr rasch geändert habe, noch weit davon 
entfernt sei, endgiltig fixiert zu sein und die 
zwischen den Mächten im Gange befindlichen 
Besprechungen ohne vorheriges Einvernehmen 
nicht bekannt gegeben werden könnten. Der 
Minister könne sich also vollständig frei nur über 
die Politik der französischen Regierung äußern 
und sie, wenn auch nicht in volles Licht setzen, 
so doch wenigstens klar definieren und charak 
terisieren. 
Der Minsterpräsident erinnerte daran, daß 
Frankreich alles, was an ihm gelegen sei, getan 
habe, um dem Konflikt auf dem Balkan, bevor 
er zum Ausbruch kam, vorzubeugen und ihn zu 
beschwören. Als er dann unvermeidlich geworden 
sei, habe Frankreich sofort alle Bemühungen 
darauf gerichtet, ihn zu lokalisieren. 
Der Ministerpräsident sagte: Am diese beiden 
Absichten nach und nach zu verwirklichen, haben 
wir von allem Anfang an mit aller Bereit 
willigkeit an den regelmäßigen Konversationen 
teilgenommen, die täglich unter den Mächten 
Europas fortgesetzt werden, und waren stets und 
sind noch heute der Ansicht, daß die Lösungen 
der gegenwärtigen Schwierigkeiten nur in einer 
gemeinsamen einverständlichen Aktion gesucht 
werden müssen. Diese allgemeinen Konversationen, 
welche die Umstände notwendig machten, haben 
wir selbstverständlich nur im vollen Einvernehmen 
mit unseren Freunden und Alliierten eingeleitet 
und werden sie auch nur im Einvernehmen mit 
ihnen fortsetzen. 
Mir halten die Kontinuität in unserer aus 
wärtigen Politik für unerläßlich und wünschen, 
daß bei der Regelung der gegenwärtigen Zwischen 
fälle unsere Allianzen und Freundschaften ihre 
Kraft und Wirksamkeit erweisen. 
Der Ministerpräsident fuhr fort: In den 
eingeleiteten diplomatischen Besprechungen haben 
wir uns stets im vorhinein der Stimmung 
Englands und Rußlands versichert. Es wäre 
überflüssig, zu sagen, daß wir ohne Unterlaß 
in vollem Vertrauen und in voller Intimität 
gehandelt haben und auch fernerhin handeln 
werden. 
Seit langem hatten wir in Frankreich das 
Entstehen von Schwierigkeiten auf dem Balkan 
befürchtet. Bereits im verflossenen Januar hatten 
wir mit Rußland die verschiedenen Eventualitäten 
erörtert, denen gegenüber sich Europa früher 
oder später im Orient befinden könnte. Rußland 
hatte uns spontan die seither der Öffentlichkeit 
übergebene Versicherung erteilt, daß es der Idee 
des territorialen 5tstus quo auf dem Balkan 
treu bleibe; aber die Verlängerung des italienisch 
türkischen Krieges, die an den Grenzen Monte 
negros, in Mazedonien und Albanien began 
genen Ausschreitungen und die Verzögerung in 
der Durchführung von Reformen machten den 
Frieden immer unsicherer. 
Ministerpräsident poincare erinnert daran, 
daß die im April abgeschlossenen Konventionen 
zwischen Serbien und Bulgarien einerseits und 
Griechenland und Bulgarien anderseits der fran 
zösischen Regierung den Keim neuer Krisen 
gefahren und Konfliktsmöglichkeiten in sich zu 
bergen schienen. Im Geiste aufrichtigen Wohl 
wollens für die Türkei machten wir diese zu 
wiederholten Malen auf die Gefahren der Lage 
aufmerksam, und rieten ihr, den Abschluß des 
Friedens mit Italien zu beschleunigen und auf 
dem Balkan Reformen durchzuführen. Allein 
die Komplikationen wurden immer drohender. 
Der Ministerpräsident wies auf die vom 
österreichisch-ungarischen Minister des Äußern im 
August d. I. ergriffene Initiative hin und sagte, 
der Justizminister Briand, der ihn während 
seines damaligen Aufenthaltes in Rußland ver 
trat, habe diese Initiative mit Interesse aufge 
nommen und erklärt, die Politik Frankreichs 
im nahen Osten sei vornehmlich darauf gerichtet, 
den allgemeinen Frieden und den 5tstus quo 
auf dem Balkan zu erhalten und wir seien 
glücklich über diese Gemeinsamkeit der Anschau 
ungen mit dem Wiener Kabinett. Er, der Mini 
sterpräsident habe sich telegraphisch mit der Ant 
wort Briands einverstanden erklärt und Rußland 
habe im Einvernehmen mit ihm eine überein 
stimmende Antwort erteilt. 
Allein bevor noch die Mächte sich über das 
Reformprogramm einigen konnten, waren die 
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