Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Der diplomatische Krieg. 
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Opfern jedes Mittel zur Aufrechterhaltung des 
Bündnisses, trachteten wir, einen brudermörde 
rischen und schändlichen Krieg zu vermeiden und 
zeigten während ganzer Monate gegenüber den 
bulgarischen Provokationen die äußerste Geduld. 
* * * 
Es ist selbstverständlich, daß in dieser 
griechischen Rote recht wesentlich übertrieben 
wurde. Was den Bulgaren nachgesagt wird, 
das haben sich auch, wo sie die Macht in den 
Händen hatten, die Griechen und die Serben 
in reichlichem Maße zuschulden kommen lassen. 
Und was die Unehrlichkeit der Politik anlangt, 
so weiß man kaum, wem hier von diesen drei 
Staaten die Palme zu reichen ist. Man sieht 
jedoch aus dem amtlichen Dokument, wie sehr 
Eifersucht und nationaler Haß das Bündnis 
schon lange durchfressen hatten, und wie die 
Verhältnisse unaufhaltsam einer kriegerischen 
Auseinandersetzung zudrängten. Es ist nicht un 
wahrscheinlich, daß Serbien und Griechenland 
an Bulgarien den Krieg erklärt, dieses zum 
Kriege gezwungen hätten, wenn nicht Bul 
garien selbst den Ausbruch des Krieges veran 
laßt hätte. Das ist es, was das bulgarische 
Vorgehen in gewissem Sinne rechtfertigt. 
Die Stimmung in Bulgarien. 
Uber die Stimmung in der bulgarischen 
Armee und im bulgarischen Volke wurde einem 
deutschen Blatte am 2. Juli aus Sofia ge 
schrieben: 
Die Stimmung der Bevölkerung in Stadt 
und Land ist heute eine gehobene und fest ent 
schlossene. So lange die breite Masse nicht 
wußte, daß weder die jetzige noch irgendeine 
kommende Regierung auch nur einen Buch 
staben vom Vertrage aufgeben werde, herrschte 
eine gewisse Depression. Als aber die authen 
tischen Meldungen über Vergewaltigungen von 
Frauen, Riederbrennung von Dörfern und Ein 
kerkerung Unschuldiger sich häuften, erblickte 
jedermann in den sich vorbereitenden Aktionen 
der Regierung und Armee eine unausweichliche 
Rotwendigkeit, den unerträglichen Verhältnissen, 
welche unter der türkischen Herrschaft bessere ge 
wesen, ein rasches Ende zu machen. 
Hiezu kommt die Hebung des stolzen Sieges 
bewußtseins durch die bewunderungswürdig rasche 
Konzentrierung der von Tschataldscha und 
Bulair auf der eingleisigen Bahn an die ser 
bische und griechische Grenze zurückgezogenen 
Truppen. Viele der Soldaten durchlief, als sie 
an ihrem Stück Boden vorbeifuhren, wohl ein 
Jittern der Seele, da sie nach smonatlicher 
Abwesenheit im Zuge sitzend ihre heuer beson 
ders guten Ertrag verheißenden Felder sahen, 
ohne mithelfen zu können. Doch die rasch be 
kannt gewordene Tatsache, daß die Regierung 
Erntemaschinen hatte kommen lassen und Schnitter 
korps organisierte, welche von Ort zu Ort ziehen, 
um gemeinsam mit den zurückgebliebenen Frauen 
die Ernte zu versorgen, führte Beruhigung unter 
den Truppen in dieser Hinsicht herbei, gleich 
zeitig aber wilde Entschlossenheit, furchtbare 
Rache zu nehmen. Der Geist der Truppen ist 
heute ein vorzüglicher und wird es bleiben, wenn 
rasch gehandelt wird, und der Soldat im Kampfe 
hoffen kann, baldigst heimzukehren. 
Die intelligenten Bewohner, in deren Adern 
ja auch ausnahmslos Bauernblut fließt, sind 
mit dem einfachen Landmann solidarisch und 
fordern rasches Handeln. Daher kann keine Re 
gierung weitere Duldsamkeit zeigen, welche für 
sie und das Land verhängnisvoll werden müßte. 
Die Enttäuschung wegen Rußland ist eine nach 
haltige, wiewohl sich beim Bauern, der gut weiß, 
daß dies unnütz wäre, kein offener Groll zeigt. 
Dieser wird erst bei den Wahlen für die große 
Rationalversammlung zum Ausdruck kommen. 
Die intelligente Masse verbirgt schon heute nicht, 
daß eine aufrichtige Freundschaft mit Rußland 
unmöglich erscheint, so daß dem gegenwärtigen 
Kabinett keine lange Funktionsdauer beschieden 
sein wird, wofür gewisse Vorzeichen sich zeigen. 
Die Bulgaren sind um so mehr gegen Rußland 
verstimmt, weil sie in sich einen Amboß sehen, 
auf welchem Rußland sich Rumäniens als Ham 
mer bedienend zum furchtbaren Schlage ausholt. 
Von einer direkt gegen Rumänien gerichteten 
Erbitterung merkt man, da dieses als Werkzeug 
betrachtet wird, wenig, ja das Gros der Be 
völkerung ist betreffs der eventuellen Absichten 
Rumäniens bislang ganz kühl geblieben. Man 
denkt nur an den Westen und Süden, nicht 
aber an die Folgen einer Okkupation im Rorden. 
Rumäniens Vorgehen ist eben seit Silistria 
nichts Reues, nichts überraschendes, und man 
ist überzeugt, daß ein eventuelles tieferes Ein 
dringen Rumäniens in das Innere des unver 
teidigten bulgarischen. Landes Rumänien wohl 
vorübergehende Befriedigung, aber keinen dauern 
den Segen bringen werde. 
Symptomatisch ist, daß der Haß, welcher 
sich noch vor wenigen Wochen ganz besonders 
gegen die Serben gekehrt hatte, seit kurzem sich 
gegen Griechenland richtet und für die Drang 
salierung des bulgarischen Elementes furchtbare 
Vergeltung verlangt. In den Serben sehen die 
Bulgaren einen wohl aufgehetzten, aber nicht zu 
unterschätzenden disziplinierten Krieger, während 
die unter dem Schutze Serbiens begangenen 
Böswilligkeiten der machtlosen, ungeschulten, 
an Subordination nicht gewohnten griechischen 
Milizarmee als besonders strafbar empfunden 
werden.
	        
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