Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Schuld am Weiten Balkankriege. 
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Bulgarischer Protest. 
Außerdem übersandte die bulgarische Negie 
rung am 30. Juni durch ihre Vertreter bei den 
Großmächten diesen folgende Note: 
Vach Berichten des Chefs der makedonischen 
Armee haben die Griechen bei Leftera und die 
Serben bei Iletowo ohne jede Provokation 
unsererseits unsere Vorposten überfallen. Hinter 
den griechischen und serbischen Linien bewegen 
sich große Armeekörper. Bei Krivolak auf der 
Linie Llsküb—Saloniki sind große Truppen 
massen mit Artillerie konzentriert. 
Dieser gleichzeitige Angriff der Griechen und 
Serben zeigt, daß ihm ein gemeinsamer Plan 
zugrunde liegt, der das Ziel verfolgt, unsere 
Truppen zu provozieren, welche trotz aller Ge 
duld ihrerseits schließlich gezwungen waren, }ü 
antworten. 
Ich bedauere unendlich, daß gerade in dem 
Moment, wo die Entscheidung über die fried 
liche Liquidation der territorialen Kragen fallen 
soll, die Griechen und Serben uns mit blutigen 
Gefechten provozieren- Unter diesen Umständen 
lehnen wir jede Verantwortung für die dadurch 
geschaffene Lage und für die Folgen ab, die 
daraus entstehen können. 
Ich beauftrage die Gesandten in Athen und 
Belgrad, dort die nötigen Vorstellungen zu er 
heben. 
Am gleichen Tage beauftragte die bulgari 
sche Negierung die Vertreter Bulgariens in 
Belgrad und Athen, gegen die absolut nicht zu 
rechtfertigenden Angriffe serbischer und griechischer 
Truppen und gegen die offenbar eine Provo 
kation bezweckende Konzentrierung griechischer 
und serbischer Truppen an den bulgarischen 
Linien zu protestieren. Die Negierung, hieß es 
in dem Protest, lehnt jede Verantwortung für 
die Folgen ab, die sich aus einem solchen Vor 
gehen unmittelbar vor der friedlichen Liquidie 
rung der territorialen Streitigkeiten ergeben 
können. 
Spielte die Negierung in Sofia wirklich 
eine solche Komödie der Lüge oder war sie selbst 
in Unkenntnis der Ereignisse? 
Die Schuld am Weiten Balkankriege. 
den heute noch ungelösten Nätseln 
gehört die Frage, wer eigentlich auf 
bulgarischer Seite für den Weiten 
wj/\ Balkankrieg verantwortlich zu machen 
ist. Mr möchten gleich an dieser 
Stelle eine Korrespondenz aus Sofia einfügen, 
welche die „Frankfurter Zeitung" Ende Oktober 
veröffentlichte und die sich mit dieser Frage be 
schäftigt. Der Korrespondent, dem natürlich die 
volle Verantwortung für seine Mitteilungen 
überlassen bleiben muß, schreibt: 
Nach Aufhebung der Kriegszensur hat sich 
hier natürlich eine lebhafte Diskussion erhoben 
über die Verantwortlichkeiten und unmittelbaren 
Ursachen, welche Bulgarien in die Katastrophe 
des Weiten Balkankrieges gestürmt haben. Auf 
Grund der mannigfachen wertvollen Aufschlüsse, 
die sich aus dieser Diskussion ergeben haben 
und auf Grund persönlicher Nachforschungen, 
die ich angestellt habe, kann heute folgende Tat 
sache als festgestellt gelten: Der Befehl zum 
Angriff auf die Serben und Griechen am 
29. Juni ist ohne Vorwissen Danews und gegen 
jede Erwartung der Negierung vom Hauptquar 
tier gegeben worden. 
Bereits im engeren Kronrate, der am 
22. Juni in der Sommerresidenz des Königs 
in Vranja bei Sofia abgehalten worden ist 
und an dem außer dem Herrscher der Chef 
seines Zivilkabinetts, Herr Dobrowitsch, Minister 
präsident Danew, Finanzminister Theodorow 
und General Sawow teilgenommen haben, ist 
formell der endgiltige Beschluß gefaßt worden, 
den Streit mit Serbien auf friedliche Art zu 
regeln. An dem gleichen Nachmittag erhielt 
Danew von Petersburg die Mitteilung, daß 
sich pasiL Herrn Hartwig gegenüber zur An 
nahme des russischen Schiedsgerichtes bereit er 
klärt habe. Es lag also für die Negierung, wie 
Herr Danew folgerichtig erklärt, kein Anlaß 
vor, sich in ein gefährliches Abenteuer zu stürzen 
und dies um so weniger, als Herr Danew bereits 
früher, anläßlich eines Besuches in Petersburg, 
an den maßgebendsten Stellen die Versicherung 
erhalten hatte, daß der Schiedsspruch, dem 
Wortlaute des Bündnisvertrages gemäß, der 
Auffassung Bulgariens entsprechen werde. 
Danew bereitete sich nun W Abreise nach 
Petersburg vor, die er am 1. oder 2. Juli an 
treten wollte. Ein russisches Kanonenboot er 
wartete ihn im Hafen von Varna. Nm 30. Juni 
abends wurden aber die Negierungsmitglieder 
durch ein Kriegsbulletin des Hauptquartiers 
überrascht, welches von den ersten Zusammen 
stößen mit Serben und Griechen Nachricht 
gab. Auf eine telephonische Anfrage Danews 
gab Sawow die Erklärung, daß es sich offen 
bar um „Grenzzusammenstöße" handle. Erst in 
der Folge wurde festgestellt, daß eine förmliche 
Order zum Angriffe vorlag. Ich habe mich
	        
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