Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Erklärungen des Ministerpräsidenten pasiö in der Ekupschtina. 
485 
□□ 
Standpunkt, das) der Krieg von den Ver 
bündeten gemeinsam geführt und das) ihnen ge 
meinsam das eroberte Gebiet abgetreten werde. 
Anderseits sei Griechenland an der Lösung des 
serbisch-bulgarischen Konfliktes in gleichem Maste 
interessiert wie Serbien an der Lösung des 
griechisch-bulgarischen Konfliktes. Demnach können 
die bestehenden Konflikte nur gemeinsam gelöst 
werden. Jene Gegensätze, welche nicht in gegen 
seitigem Einvernehmen ausgeglichen werden 
könnten, wären dann dem russischen Schieds 
gerichte zu überlassen. 
Wenn ich nicht irre, führte der Minister 
präsident weiter aus, herrschen die gleichen 
Nusfassungen auch in den mastgebenden russi 
schen Kreisen und im Nuslande. Rachdem die 
serbische Regierung die Überzeugung erlangte, 
das) das russische Schiedsgericht auf einer 
breiteren Basis erfolgen und dast der serbisch- 
bulgarische Konflikt gleichzeitig mit dem griechisch- 
bulgarischen Konflikt verhandelt werden wird, 
beschlost sie, dast das russische Schiedsgericht 
angenommen werden könne. Der serbische Stand 
punkt wird sowohl in dem serbisch-bulgarischen 
Votenwechsel als in dem der russischen Re 
gierung zu unterbreitenden Memorandum dar 
gelegt. Indem die serbische Regierung dem 
Schiedsgerichte zustimmte, verblieb sie auf dem 
Standpunkte, welcher im letzten Expose festge- 
seht worden ist. 
Nus der Debatte führen wir hier, um ein 
Bild der Stimmung in Belgrad zu geben, 
folgendes an: 
Der Interpellant Ribarac bemängelte, dast 
die serbische Regierung es unterlassen habe, von 
dem notorisch illoyalen Bulgarien eine Revision 
des serbisch-bulgarischen Vertrages zu erlangen 
in dem Augenblicke, als letzteres um die Hisse 
Serbiens gebeten hatte. Die hohe Auffassung 
von der Treue Bulgariens sei, wie die Ereig 
nisse bewiesen, gänzlich verfehlt gewesen. Die 
serbische Regierung habe alle für Serbien sich 
ergebenden günstigen Nugenblicke unbenüht ver 
streichen lassen; dadurch habe sie das siegreiche 
serbische Volk dazu gebracht, dast es sein blutig 
erkämpftes Recht nun an fremder Schwelle als 
Almosen erbitten müsse. Die Rationalisten treten 
für die sofortige Annexion der eroberten Ge 
biete ein, weil Serbien auf dieselben ein Blut 
recht erworben habe. Das Schiedsgericht könne 
keine günstige Situation schaffen, da es ent 
weder die Unzufriedenheit des serbischen Volkes 
gegen Rustland oder den Jörn des Zaren gegen 
Serbien Hervorrufen werde. Denn es sei klar, 
dast das serbische Volk niemandem xuliebe seine 
Lebensinteressen opfern könne. Durch die An 
nexion würde auch den Prätensionen der Bul 
garen ein Ziel gesetzt. Pflicht der gegenwärtigen 
serbischen Generation sei es, ihren Rachkommen 
den Frieden zu sichern, was nur durch die Er 
haltung des Gleichgewichtes auf dem Balkan 
möglich sei. 
Serbien befinde sich in einer sehr günstigen 
Lage, da Griechenland seinen Standpunkt teile, 
Rumänien aber, dank der Weisheit des Königs 
Carol, gegen die grenzlosen Begierden Bul 
gariens Stellung genommen habe. Wenn auch 
in die Gerechtigkeitsliebe des Zaren kein Zweifel 
gesetzt werden könne, so erscheinen die Besorg 
nisse nicht unberechtigt, das) das Urteil des 
Zaren durch die Tradition der russischen Politik, 
welche im Frieden von San Stefano ein Grost- 
bulgarien schaffen wollte, ungünstig beeinflusst 
werden könnte. Jedenfalls werde Rustland nach 
russischem Interesse entscheiden. Das serbische 
Volk müsse aber in erster Linie seine eigenen 
Interessen vertreten. Im Jahre 1884 sagte Zar 
Alexander III. zu dem serbischen Staatsmann 
Ristic, dast eine Annexion Bosniens und der 
Herzegowina niemals erfolgen werde, aber sie 
erfolgte doch. In Rustland habe man den 
Standpunkt vertreten, dast zuerst die russischen, 
dann die bulgarischen und erst an letzter Stelle 
die serbischen Interessen in Betracht zu ziehen 
seien. 
Redner stellt schliestlich den Antrag, die 
Skupschtina möge in der Erwartung, das) die 
Regierung auf die Annexion der eroberten Ge 
biete bezügliche Gesetzvorlagen dringlich ein 
bringen werde, zur Tagesordnung übergehen. 
Der Interpellant Pavel Marinkovic be 
dauerte, dast die Regierung durch ihre über- 
mästige Friedensliebe den Schein erweckt habe, 
dast Serbien schwach sei. Diesen Schein hätten 
die Bulgaren zur Androhung des Krieges aus 
gebeutet, wodurch ganz Europa sich auf Seiten 
Bulgariens gestellt habe, um es vom Kriege 
abzuhalten. In Wirklichkeit sei jedoch die Lage 
in Bulgarien eine derartige, dast es eher zum 
Kriege gezwungen werden müstte, nicht aber 
dast es den Krieg ernstlich anstrebe. Da Europa 
friedensbedürftig sei, hätte es die Annexion ge 
billigt, weil durch dieselbe die Kriegsgefahr tat 
sächlich beseitigt worden wäre; auch Österreich- 
Ungarn hätte dagegen nicht Stellung genommen, 
da Europa in allen Fragen solidarisch vorgehe. 
Redner kritisiert schärfstens die Haltung des 
bulgarischen Regierungsorgans „Mir", das be 
hauptet habe, dast die Schlacht bei Kumanovo 
durch die Bulgaren entschieden worden sei und 
dast die Serben bei Adrianopel nur den Bul 
garen Kundschafterdienste geleistet hätten. Was 
das Schiedsgericht anbelangt, könne die 
Skupschtina demselben gegenüber passiv bleiben, 
da sie weder den Vertrag noch die Bestim 
mungen über die Arbitrage kenne. Die Arbi 
trage sei eine juridische Frage. Der einzige 
Jurist im Kabinett pasic, welcher die Skup-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.