Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Erklärungen des Ministerpräsidenten Pasi6 in der Skupfchtina. 
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sich nicht in die Balkanhändel einzumischen, aber 
zugleich auch eine Warnung an Rumänien, sich 
nicht zum Werkzeug der russischen Politik miß 
brauchen zu lassen. Rumänien, das bisher als 
das äußerste Bollwerk des Dreibundes im Osten 
galt, machte Miene, abzuschwenken, und das 
mußte natürlich in Wien sehr unangenehm 
empfunden werden. Darum riet man, die Bal 
kanstaaten ihre Händel untereinander abmachen 
zu lassen. 
In Sofia äußerte man sich über den ru 
mänischen Schritt folgendermaßen: 
Der Schritt Rumäniens kann nicht über 
raschen, da seit einer Woche bekannt sein mußte, 
daß Rußland und Frankreich sich geeinigt 
hatten, an Rumänien heranzutreten, dieses möge 
als eine Art Mandatar von Großmächten durch 
einen drohenden Druck in Sofia für die Er 
haltung des Friedens sorgen. Das wahrschein 
liche ist, daß Rumänien, welches niemals als 
Balkanstaat gelten wollte, und erst seit dem 
vorigen Herbst seine Stellung als europäischer 
Staat wegen angeblicher auf dem Balkan lie 
gender Lebensinteressen aufzugeben begann, nun 
mehr vom Dreibund eine Schwenkung zur 
Tripelentente unternimmt und seine Dienste 
willfährig Rußland zur Verfügung stellt, wel 
ches unter jeder Bedingung und Anwendung 
aller Mittel den Ausbruch eines serbisch-bul 
garischen Krieges verhütet wissen will. 
Die Situation war nun Ende Juni fol 
gende: Der Ausbruch des Krieges Mischen 
Bulgarien auf der einen, Serbien und Griechen 
land auf der anderen Seite schien unvermeidlich. 
Die Gegensätze waren zu groß, als daß sie sich 
durch Diplomatisieren hätten aus der Welt 
schaffen lassen. Rumänien drohte, sich in den neuen 
Streit einzumischen. Für Bulgarien hätte nun 
die Pflicht bestanden, sich so rasch als möglich 
mit Rumänien gütlich auseinander zu setzen, 
und außerdem mit der Türkei den definitiven 
Frieden zu schließen. Bulgarien schien entschlossen, 
den Krieg gegen seine früheren Verbündeten zu 
führen, und mußte sich daher die nötige Rücken 
freiheit verschaffen. Daß dies nicht geschehen 
ist, war einer der verhängnisvollsten Fehler, die 
je von einem Staate begangen worden sind; 
Bulgarien wurde durch diesen Fehler in eine 
Katastrophe hineingerissen und erbarmungslos 
niedergeworfen. 
Erklärungen des Ministerpräsidenten Paste in der Skupfchtina. 
M m IO. Juni kam die Meldung, daß 
die Bulgaren auf der ganzen Linie 
im Vormarsch gegen die Serben seien. 
Am gleichen Tage fand eine wich 
tige Skupschtinasitzung statt. Der Rationalist 
Ribarac begründete eine Interpellation über die 
politische Lage mit dem Hinweis darauf, daß 
der letzte Augenblick zur Entscheidung der Frage 
gekommen sei, ob der serbisch-bulgarische Konflikt 
durch Annexion der eroberten Gebiete oder 
durch das russische Schiedsgericht gelöst werden 
soll. 
Ministerpräsident pasic verlas hierauf die 
Antwort auf drei fast identische Interpellationen. 
In der Antwort wird die Entwicklung des Kon 
flikts seit dem im vorigen Monat vom Mi 
nisterpräsidenten in der Skupfchtina gehaltenen 
Expose dargelegt. Die serbische Regierung habe 
damals den Standpunkt eingenommen, daß der 
serbisch-bulgarische Bündnisvertrag einer Revi 
sion unterzogen werden müsse und daß eine 
friedliche Lösung am leichtesten und sichersten 
durch einvernehmliche Aufteilung des Kondo 
miniums unter den Verbündeten erreicht werden 
könne. 
Statt auf die serbische Revisionsforderung 
zu antworten, habe Bulgarien die Zaribroder 
Zusammenkunft angeregt, in welcher die Konfe 
renz der 4 Ministerpräsidenten beschlossen wurde. 
Die unmittelbar darauf erfolgte Demission des 
Kabinetts Geschow habe einen deprimierenden 
Eindruck hervorgerufen, weil sie offenkundig das 
Bestreben Bulgariens darlegte, eine friedliche 
Lösung zu vereiteln. In diesem Augenblick habe 
der russische Kaiser durch das bekannte Schreiben 
eingegriffen. Die serbische Regierung habe durch 
ihren Demobilisierungsantrag einen neuerlichen 
Beweis ihrer Friedensliebe gegeben. Da jedoch 
Bulgarien diesen Antrag abgelehnt und die Re 
vision des serbisch-bulgarischen Vertrages ent 
schieden zurückgewiesen hatte, mußte die serbische 
Regierung neuerlich auf der Konferenz der 
4 Ministerpräsidenten beharren. 
Angesichts dieser gegensätzlichen Haltung 
habe die russische Regierung die serbische Re 
gierung zur Teilnahme an der Petersburger 
Konferenz und zur Annahme des russischen 
Schiedsgerichtes eingeladen. Die serbische Re 
gierung sei dieser Forderung unter dem Vorbe 
halte nachgekommen, daß das Schiedsgericht 
auf breiter Basis erfolge. Von russischer Seite 
sei hierauf erwidert worden, daß der russische 
Kaiser keinerlei Vorbehalte zulassen könne. Es 
habe sich daher die Rotwendigkeit einer er 
neuerten Stellungnahme zur Schiedsgerichtsfrage 
ergeben. Die serbische Regierung vertrete den
	        
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