Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Einwirken der Mächte in Belgrad und Sofia. 
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mit Recht behaupten, daß sie die schwierigere 
Arbeit vollbracht, daß sie die größten Opfer 
des Krieges gebracht hatten. Aber daraus 
durften sie klugerweise nicht die Berechtigung 
ableiten, die Forderungen der Bundesgenossen 
brüsk abzuweisen; die Art, wie man sich in 
Sofia diesen Forderungen gegenüber verhielt, 
trug viel dazu bei, die vorhandenen Gegensätze 
noch zu verschärfen^ 
Demission des Kabinetts Geschow. 
Am 3. Juni meldete der Draht aus Sofia: 
Die Negierung hat die Demission einge 
reicht. 
Die Ministerkrise wird nach dem Eintreffen 
des Finanzministers Theodorow und des Kam 
merpräsidenten Dr. Danew, die sich auf der 
Rückreise von London befinden, gelöst werden. 
Die Gründe für den plötzlichen Rücktritt 
des Kabinetts Geschow waren zunächst nicht 
klar. Man behauptete, die Demission wäre aus 
konstitutionellen Gründen erfolgt; der König 
empfing am gleichen Tage die Führer der Oppo 
sition und es würde über den Eintritt auch der 
Oppositionsparteien in das neue Kabinett ge 
sprochen. 
In Wirklichkeit hat es den Anschein, als 
hätte Geschow, der zu den Unterzeichnern des 
Balkanbundes gehörte, die Verantwortung für 
die kommenden Dinge nicht allein auf sich 
nehmen wollen. 
Am 5. Juni war Dr. Danew in Sofia 
eingetroffen, und es hieß, er werde mit der 
Kabinettsbildung betraut werden. 
Am 10. Juni war die Kabinettskrise noch 
nicht gelöst, aber der Eintritt Dr. Danews in 
das neue Kabinett stand bereits fest. Um so 
mehr mußte es überraschen, daß Dr. Danew 
gewissermaßen seine Politik gegen Serbien fest 
legte, indem er öffentlich erklärte: 
Wir können unter keinen Umständen vor 
Serbien zurückweichen und werden unerschütter 
lich auf der Durchführung des Vertrages be 
stehen. Wollte man unsererseits Konzessionen 
erwarten, so kann man von einer tzoffnung auf 
Wahrung des Friedens nicht sprechen. Wie es 
auf serbischer Seite diesbezüglich steht, darüber 
kann ich mich nicht äußern. 
Auf serbischer Seite beurteilte man die Si 
tuation außerordentlich ernst, und es hieß da 
mals, daß Serbien und Griechenland nach der 
etwaigen Ablehnung der Revision des Vertrages 
durch Bulgarien die Annexion der eroberten 
Gebiete proklamieren würden, was von Bul 
garien als cssus belli hätte aufgefaßt werden 
müssen. 
Einwirken der Mächte in Belgrad und Sofia. 
r/n Europa betrachtete man diese Zuspitzung 
* der Verhältnisse auf dem Balkan selbst 
verständlich mit nicht geringer Besorg 
nis. Die Vertreter der Großmächte in 
Belgrad und Sofia mahnten zum Frie 
den und zur Rachgiebigkeit. Insbesondere ließ 
Rußland es sich angelegen sein, den Frieden zu 
erhalten. Am 8. Juni hat Zar Nikolaus von 
Moskau aus an die Könige von Bulgarien 
und Serbien folgendes identische Telegramm 
gesandt: 
Die Nachricht von der in Saloniki geplan 
ten Zusammenkunft zwischen den Ministerprä 
sidenten der 4 verbündeten Länder, die sodann 
in Petersburg zusammentreffen könnten, hat mir 
das größte Vergnügen bereitet, da diese Absicht 
den Wunsch der Balkanstaaten anzudeuten schien, 
sich zu verständigen, und das Bündnis, das 
bisher die glänzendsten Resultate geliefert hat, 
zu befestigen. 
Mit.^ einem peinlichen Gefühl erfahre ich, 
daß dieser Beschluß noch nicht in Vollzug ge 
setzt worden ist, und daß die Balkanstaaten 
sich auf einen brudermörderischen Krieg vorzu- 
Lalkankrieg. II 
bereiten scheinen, der den Ruhm, den sie ge 
meinsam errungen haben, zu trüben geeignet 
wäre. 
In einem so ernsten Augenblick appelliere 
ich, wie es mir mein Recht und meine Pflicht 
gebieten, unmittelbar an Eure Majestät. Die 
beiden Völker, das bulgarische und das serbi 
sche, haben durch ihre Bündnisakte die Ent 
scheidung jeglichen Streites, der sich auf die 
Anwendung des Wortlautes des Vertrages und 
der hierauf bezüglichen Abmachung bezieht, Ruß 
land übertragen. Ich bitte daher Eure Majestät, 
den von.Ihnen eingegangenen Verpflichtungen 
treu zu bleiben und sich bezüglich der Lösung 
des gegenwärtigen Streitfalles zwischen Bul 
garien und Serbien auf Rußland zu verlassen. 
Die Funktion eines Schiedsrichters nicht als 
eine Prärogative, sondern als eine peinliche Ver 
pflichtung, der ich mich nicht entziehen kann, be 
trachtend, glaube ich, Eure Majestät benachrich 
tigen zu sollen, daß ein Krieg zwischen den 
Verbündeten mich nicht gleichgiltig lassen könnte. 
Ich lege Wert darauf, festzustellen, daß der 
Staat, der diesen Krieg begonnen haben würde, 
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