Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Vorgeschichte des neuen Balkankrieges. 
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Endlich hat Herr Paste davon gesprochen, 
das) Bulgarien sich ursprünglich verpflichtet hatte, 
100.000 Mann in das Vardartal zu entsenden. 
Dieser Teil der Konvention ist aber durch neue 
Abmachungen vom 23. August und vom 15. Sep 
tember geändert worden, und zwar auf Grund 
gegenseitigen Einverständnisses. Serbien soll des 
halb genötigt gewesen sein, 400.000 Mann ins 
Feld zu stylen. Diese Modifikation des Über 
einkommens hat aus strategischen Gründen 
stattgefunden und wurde daher auch durch die 
beiderseitigen Generalstäbe vereinbart, in deren 
Wirkungskreis sie gehörte. Ich persönlich be 
dauere diese Änderung, denn wenn die 100.000 
Bulgaren wirklich ins Vardartal geschickt worden 
wären, dann würde das von Serbien besetzte 
Gebiet jetzt nicht so groß sein. Daher glaube 
ich, das) Serbien uns keine Vorwürfe machen, 
sondern zufrieden sein sollte. 
Mas die von Serbien ins Feld geschickte 
Truppenzahl betrifft, so übersteigt sie nicht die 
Grenze dessen, wozu Serbien verpflichtet war. 
Serbien hat, wie auch alle anderen Verbünde 
ten, seine Schuldigkeit getan, denn, wie der 
griechische Ministerpräsident Venizelos in der 
Kammer erklärte, alle Verbündeten haben das 
Höchstmaß ihrer Kräfte eingesetzt. 
Fragt man aber, wer von den Alliierten 
die größten Anstrengungen gemacht und dem 
Bunde die größten Dienste erwiesen hat, dann 
wird man nach den Schlachtfeldern blicken 
müssen, auf denen die Entscheidung siel, nach 
Kirkkilisse, Lüle Burgas, Bunar Hiffar. 
Herr Geschow fährt fort: Herr Paste hat 
endlich von einem gewissermaßen farblosen 
Slawenstamm in Makedonien gesprochen, von 
einem Stamm, der weder serbisch noch bulgarisch 
ist. Diese Behauptung ist in Serbien schon vor 
mindestens 20 Jahren aufgetaucht. Bis dahin 
war man aber überall dahin einig, daß Make 
donien von Bulgaren bewohnt ist. Die inter 
nationale Konferenz, die 1876 in Konstanti 
nopel tagte, hat zwei autonome Bulgarien ge 
schaffen, ein östliches, das heutige Königreich, 
und ein westliches, das mit Makedonien iden 
tisch ist. 3m Frieden von San Stefano ist 
Mazedonien dem neuen Bulgarien zugesprochen 
worden. Die Mazedonier haben stets ihr bul 
garisches Vationalgefühl zur Schau getragen. 
Diesem Gefühl entsprangen ihre Aufstände, 
ihre Kämpfe und Leiden unter dem türkischen 
Regiment; ihm danken sie die Tatsache, daß 
die Gefängnisse in Mazedonien, selbst in der 
asiatischen Türkei und in Tripolis zu klein 
waren, um alle die unermüdlichen Revolutionäre 
aufzunehmen. 
Es ist überflüssig, noch mehr Argumente an 
zuführen, die gegen die serbische Auffassung 
sprechen, denn der Minister Paste selbst hat im 
Vertrag vom Februar 1912 offiziell und feierlich 
anerkannt, daß im Süden der neutralen Jone 
bulgarisches Gebiet ist, also die Provinzen 
Köprülü, Prilep, Monastir und Ochrida an 
Bulgarien fallen sollen. Dieser Vertrag ist von 
Paste selbst unterzeichnet und vom König von 
Serbien sanktioniert. Kumanovo, Gostivar, 
Tetovo und Dibra bilden nach dem Vertrag 
eine neutrale Zone, über deren Schicksal Ruß 
land den Schiedsspruch zu fällen hat. 
Herr Geschow fährt fort: Alles hängt jetzt 
von der bevorstehenden Zusammenkunft des bul 
garischen mit dem serbischen Ministerpräsidenten 
ab. Vach meiner Meinung kann die Revision 
des Vertrages nicht bewilligt werden. Wir sind 
übrigens von der Gerechtigkeit unserer Sache 
so durchdrungen, daß wir jederzeit bereit sind, 
ein Schiedsgericht anzunehmen, das auch im 
Vertrage vorgesehen ist. 
Auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen 
Bulgarien und Griechenland antwortete der 
Gesandte: 
Griechenland gegenüber liegt der Sachver 
halt anders, denn erstens haben wir mit diesem 
keinen Teilungsvertrag geschloffen und zweitens 
haben beide Teile geeignete Austauschobjekte in 
Händen, die einen Ausgleich erleichtern können. 
Ich bin überzeugt, daß, wenn Griechenland 
ernstlich entschlossen ist, selbständig mit Bulgarien 
zu verhandeln ohne Abmachungen mit anderen 
Verbündeten, dann eine Verständigung ohne 
weiteres möglich sein wird. Wenn das nicht 
möglich ist, dann dürfte ein russisches oder an 
deres Schiedsgericht ebenfalls auf gütlichem 
Wege seine Entscheidung treffen. 
Gesandter Geschow schloß: In diesem Kriege, 
der heute durch die Unterzeichnung der Friedens 
präliminarien sein Ende findet, haben sowohl 
Serbien als auch Griechenland erhebliche Vor 
teile errungen, bei deren Erlangung ihnen Bul 
garien von großem Ruhen war. Diese Vorteile 
waren nicht nur materieller, sondern auch mora 
lischer Art. Griechenland hatte sein seit dem un 
glücklichen Frieden von 1897 gefährdetes mili 
tärisches Renomme wiederherzustellen und Ser 
bien den Beweis seiner politischen Volljährigkeit 
zu erbringen. Rur Bulgariens Renommee hat 
schon vor dem Kriege festgestanden. Es würde 
nicht im Interesse der beiden anderen Staaten 
liegen, wenn sie, statt sich mit dem Errungenen 
zu begnügen, durch einen Krieg ihre bisher er 
langten Erfolge aufs Spiel sehten. 
Griechenland und die Teilungsfrage. 
Uber den Standpunkt Griechenlands zur 
Teilungsfrage schrieb am 31. Mai der griechische 
Schriftsteller Dr. Georg Papantonakis, der in 
engen Beziehungen zum Ministerpräsidenten 
Venizelos steht:
	        
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