Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Petersburger Verhandlungen über den bulgarisch-rumänischen Konflikt. 
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Rücksicht auf die Müdigkeit des Minister 
präsidenten die Sitzung ?u unterbrechen. Der 
Antrag wurde angenommen und die nächste 
Sitzung auf den 26. Mai anberaumt. 
An diesem Tage sehte Ministerpräsident 
Majorescu sein Expose gleichfalls in geheimer 
Sitzung fort. Er rekapitulierte nochmals die 
Gründe, welche Rumänien bestimmt hatten, 
neutral zu bleiben, und wies nach, daß der 
Hauptgrund dafür in den andauernden Be 
mühungen der Großmächte lag, welche Ru 
mänien rieten, nicht zu mobilisieren. Ramentlich 
Deutschland und Österreich-Ungarn gaben fort 
während den Rat, die friedliche Haltung zu be 
wahren, und versicherten Rumänien, daß alle 
seine Wünsche vollständig erfüllt würden. Wir 
haben jedoch immer den Standpunkt einge 
nommen, sagte der Ministerpräsident, wenn wir 
in der Frage der Mazedorumänen und der Be 
rücksichtigung der Dobrudschagrenze nicht auf 
diplomatischem Weg einen Erfolg erringen 
können, werden wir keinen Augenblick zögern, 
unsere bisher befolgte Friedenspolitik zu ver 
lassen und mit den Waffen unser Recht zu er 
kämpfen. Ich habe jedoch alle Ursache, zu hoffen, 
daß unsere bisher befolgte Politik ein günstiges 
Resultat ergeben werde. 
Weiter erklärte der Ministerpräsident, Ru 
mänien wurde schon lange vor dem Kriege von 
den übrigen Balkanstaaten aufgefordert, der 
unter ihnen abgeschlossenen Konvention beizu- 
treten. Als jedoch der Ministerpräsident den 
Zweck und die Ziele der Allianz genauer er 
fahren hatte, lehnte er es ab, dieser Aufforde 
rung nachzukommen. 
Hierauf schilderte der Ministerpräsident den 
Verlauf der Verhandlungen in London, die 
einerseits von Dr. Danew, anderseits von dem 
Gesandten Misu geführt wurden. An den Be 
ratungen nahm teilweise auch Ionescu teil. Er 
verhandelte jedoch nicht direkt mit dem bulgari 
schen Delegierten. Der Ministerpräsident verlas 
hierauf die Protokolle der Londoner Verhand 
lungen, in welchen der Vertreter Rumäniens 
seine Forderungen skizzierte, und zwar bezüglich 
der Autonomie der Mazedorumänen auf dem 
Gebiete der Kirche und des Unterrichts und be 
züglich der Grenzlinie Turtukaja—Dobritz— 
Baltschik. Dr. Danew erklärte in dem Protokoll, 
daß er den Wünschen Rumäniens bezüglich der 
Mazedorumänen zu willfahren bereit sei, be 
züglich der Grenzberichtigung jedoch glaube, daß 
die gegenwärtige Grenze nicht geändert werde. 
In dem Protokoll behauptete Dr. Danew auch, 
daß Ionescu ihm erklärt hätte, Rumänien be 
stehe nicht auf Silistria. Diese Erklärung, sehte 
der Ministerpräsident hinzu, war nicht exakt und 
wurde auch schon genügend dementiert. 
Da nun die Grundlage der Verhandlungen 
fixiert war, wurden diese in Sofia direkt fort 
gesetzt. Hier fand bloß eine einzige Konferenz 
der beiderseitigen Vertreter am 14. Februar statt. 
In dem nach dieser Konferenz aufgenommenen 
Protokoll erklärte sich Bulgarien bereits geneigt, 
ein Stück bulgarisches Gebiet in der Form 
eines Dreiecks bis zum Schwarzen Meer an 
Rumänien abzutreten. Von einer Übergabe 
Silistrias könne jedoch, so erklärte Bulgarien 
auf das Bestimmteste, keine Rede sein. Da 
nun Rumänien das Hauptgewicht auf Silistria 
legte, konnte man von direkten Verhandlungen 
nichts mehr erwarten und deshalb akzeptierte 
die rumänische Regierung die Mediation. 
Deutschland bemühte sich von allem Anfang 
an, die Petersburger Konferenz zustande zu 
bringen. Italien machte sich erbötig, eine De 
marche in Sofia zu unternehmen. Österreich- 
Ungarn erklärte sich vollständig für den Schuh 
rumänischer Interessen, England bewahrte eine 
reservierte, aber meiner Meinung nach, wohl 
wollende Haltung. Frankreich erklärte, eifrigst 
bemüht zu sein, daß ein Übereinkommen zwischen 
beiden Staaten auf friedlichem Wege zustande 
komme und daß von den Interessen beider 
Staaten nichts geopfert werden solle. Rußland 
gab sich ebenfalls im Gegensatz zu seiner Hal 
tung im Jahre 1878 große Mühe, die rumäni 
schen Interessen zu schützen. 
Unter allgemeiner Spannung" verlas der 
Ministerpräsident den vollen Text des Protokolls 
der Petersburger Botschafterkonferenz, dessen 
Hauptpunkte folgende sind: 
Rach der Prüfung der Memoranden und 
Akten, welche die bulgarische und rumänische 
Regierung vorgelegt haben, erklärte die Konfe 
renz, daß Silistria Rumänien gehören müsse. 
Die neue Grenze beginnt bei der Donau, 
approximativ 3 Kilometer westlich von Silistria. 
Eine gemischte Kommission wird die neue Grenze 
feststellen. Im Falle von Uneinigkeit werden sich 
der Kommission auch sachverständige Delegierte 
der Mediationsmächte zugesellen. Die Kommis 
sion wird ihre Arbeit im Laufe von 3 Monaten 
zu beendigen haben. 
Den Bewohnern von Silistria wird ein 
Termin von 6 Monaten gegeben, damit sie 
eine Erklärung abgeben, hinsichtlich der politi 
schen Situation, in welcher sie künftighin leben 
wollen. Bulgarien wird keinerlei Fortifikationen 
in der Rahe der rumänischen Grenzen errichten 
dürfen. Eine gemischte Kommission wird die 
Jone bezeichnen, von welcher ab Bulgarien 
Verteidigungswerke errichten darf. 
Die Mächte raten schließlich, daß beide 
Staaten auch in Zukunft das freundschaftliche 
Verhältnis zueinander bewahren. 
Die Regierung, erklärte der Ministerpräsi 
dent hierauf, verlangt kein Vertrauensvotum,
	        
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