Die Petersburger Verhandlungen über den bulgarisch-rumänischen Konflikt.
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Mitteilungen der rumänischen Regierung
über die Verhandlungen.
Uber den weiteren Verlauf der Sitzung des
Senats wurde berichtet:
Ministerpräsident Majorescu erhob sich um
Uhr zum Worte und sprach ohne Unter
brechung durch 2 Stunden. Er erklärte, er
werde alle Phasen der diplomatischen Ver
handlungen dem Senat bekanntgeben, zu welchem
Zwecke er mehr als JOO Aktenstücke den Se
natoren zur Verfügung zu stellen bereit sei. Er
verwies darauf, daß alle Großmächte gleich bei
der ersten Zuspitzung des rumänisch-bulgarischen
Konfliktes darauf gedrängt haben, daß sich Ru
mänien dem Schiedssprüche der Mächte be
dingungslos unterwerfe. Die Regierung erklärte
jedoch kategorisch, nur eine Mediation annehmen
zu können, und die Großmächte gingen schließ
lich auch darauf ein.
Der Ministerpräsident skizzierte hierauf die
Geschichte der politischen Ereignisse seit dem
Herbst des vorigen Jahres. Im Oktober habe
er dem russischen Gesandten erklärt, daß Ru
mänien nicht geneigt sei, den Platzmacher irgend
einer Großmacht zu spielen, sondern wünsche,
sich immer nur mit seinen eigenen Interessen
zu beschäftigen. Am 18. Oktober teilte ihm der
bulgarische Gesandte in Bukarest offiziell mit,
daß Bulgarien sich mit der Türkei im Kriegs
zustände befinde und verlangte eine Reutralitäts-
erklärung seitens Rumäniens. Am nächsten Tage
demissionierte Ministerpräsident Earp und ließ
das Land in einer äußerst schwierigen Situation
zurück. Das Land müsse daher Take Ionescu
Dank wissen, daß er und seine Partei sich vor
behaltlos in den Dienst der Kollaborations
regierung gestellt haben.
Die neue Regierung antwortete auf das
Verlangen Bulgariens, daß, so lange der Krieg
der verbündeten Balkanstaaten auf die Er
zwingung von Reformen für die fremden Ra
tionalitäten in der Türkei gerichtet sei, also sich
nur auf die Emanzipierung der Christen in der
Türkei beschränke, Rumänien seine Reutralität
bewahren werde. Der bulgarische Gesandte gab
daraufhin dem Danke seiner Regierung gegen
über Rumänien für sein Verhalten Ausdruck.
Von manchen Seiten machte man der rumäni
schen Regierung Vorwürfe darüber, weshalb sie
damals nicht mobilisiert habe. Die Türkei stellte
allerdings der rumänischen Regierung einen
Allianzantrag, den wir aber nicht annehmen
konnten. Der Vertreter Rußlands erklärte, daß,
wenn wir uns gegen Bulgarien wenden würden,
die russische Regierung auf keinen Fall den
mächtigen Impulsen der panslawistischen Aktion
widerstehen könnte, die sich zugunsten Bulgariens
in Rußland offenbarte. Der Vertreter Deutsch-
Balkankrieg. II.
lands teilte mir dieselbe Information mit, welche
der deutschen Regierung aus Petersburg zuge-
gangen war, daß nämlich die russische Re
gierung im Falle eines rumänisch-bulgarischen
Krieges der öffentlichen Meinung des russischen
Volkes nicht widerstehen könnte, trotz der Wohl
geneigtheit der russischen Regierung gegenüber
Rumänien.
Die Regierung war daher in einer sehr
schwierigen Lage. Ich fragte mich: können die
Interessen Rumäniens durch einen Krieg ge
schützt werden und welches sind die Interessen?
Rumänien steht auf dem Rationalitätenprinzip,
und in erster Reihe muß uns also das Los
unserer makedonischen Brüder interessieren. Denn
sie sind das Ziel unserer Aspirationen und
unserer Zukunft. Das ist unser erstes Interesse
auf dem Balkan; das zweite ist die Dobrudscha.
Die Grenzregulierungskommission vom (fahre
1878 hatte gegenüber Rumänien eine große
Ungerechtigkeit begangen, als sie Siliftria Bul
garien zuwies. Die damalige Regierung pro
testierte dagegen und Frankreich unterstützte uns
auch in überaus warmer Weise, Jedoch ver
gebens. Diese Frage präsentiert sich also in
folgender Form: sollen wir zur Reparierung
einer alten Ungerechtigkeit einen Krieg führen?
Rumänien ist wohl immer zu einem Kriege be
reit. Seine Armee und seine Finanzen erlauben
es ihm. Jedoch in einem Kriege unter diesen
Verhältnissen hätte Rumänien sich gegenüber
dem Balkanblock und auch gegenüber Rußland
befunden.
Mit der Diplomatie kamen wir weiter, als
wir es erwartet hatten. Als Dr. Danew zum
erstenmal nach Rumänien kam, erklärte er hier,
daß Bulgarien das Recht Rumäniens anerkenne,
Schulen und Kirchen in Mazedonien zu er
halten und zu subventionieren und ein Erzbis
tum in Mazedonien zu gründen. Bezüglich der
Grenzregulierung verhielt sich Dr. Danew an
fangs gänzlich abweisend. Er wollte von einer
Kompensation nichts wissen. Ich antwortete ihm,
daß es sich nichtum eine Kompensation, sondern um
eine Reparierung einer alten Ungerechtigkeit
handle. Hierauf erklärte sich Dr. Danew ge
neigt, einen Landstreifen an Rumänien abzu
treten, jedoch ohne Siliftria, und alle An
strengungen konnten ihn nicht dazu bewegen,
daß er auch Siliftria Rumänien zu überlassen
erklärte. Er wies darauf hin, daß er diesbe
züglich keine Instruktion von seiner Regierung
habe. Die Verhandlungen mit Bulgarien waren
damit begonnen. Der Erfolg war davon ab
hängig, wie wir die diplomatische Aktion
führen würden und welche Unterstützung uns
die Mächte zuteil werden ließen.
Als der Ministerpräsident zu diesem Punkte
kam, beantragte der Präsident des Senates, mit
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