Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Petersburger Verhandlungen über den bulgarisch-rumänischen Konflikt. 
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ob sie sich ihrer Handlung zu schämen hätten. 
Wie manchen habe ich aber auch am Wege 
gefunden, den die Müdigkeit und der Hunger 
übermannt hatten und der vielleicht nie mehr 
aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte. Der furcht 
bare Leichengeruch, der aus vielen Gebüschen 
sich verbreitete, lies) sich leicht mit dieser Er 
scheinung in Zusammenhang bringen. Ist es 
den Albanesen zu verdenken, wenn ihnen die 
Türken schon längst durch ihre Anwesenheit ver 
haßt sind? Es ist unvermeidlich, daß sich man 
cher am Eigentum des anderen vergreift. Von 
Gewalttaten türkischer Soldaten habe ich freilich 
nie gehört. Die meisten haben ihre Waffen schon 
längst verloren oder um ein Stück Brot ver 
kauft. Wie sollen sie sich aber wehren, wenn die 
Albanesen ihre Drohung ausführen, die lästigen 
Gäste umzubringen, so sie sich bis Mitte Juni 
nicht aus der Gegend verlogen hätten? Wir 
haben die grauenhafte Ankündigung eines Ge 
metzels von verschiedenen Seiten vernommen 
und leider ist nicht ?u zweifeln, daß das Vor 
haben ausgeführt werden könnte. 
Die Offiziere haben den Befehl, bei ihren 
Truppen auszuharren und mit gutem Beispiel 
gehen die höchsten Grade voran. So weilen 
auch noch Dschavid und Galib Pascha hier, 
welch letzteren ich in seinem eleganten Zelte 
aufsuchte. Dschavid Pascha ließ sich verleugnen. 
Gedenken die Freunde der Türken, oder 
weitergesteckt: alle menschlich fühlenden Men 
schen es wirklich Melassen, daß 20.000 in un 
säglichen Leiden erschöpfte Menschen dem 
sicheren Tode entgegengehen? Muß wirklich 
zugewartet werden, bis die türkische Regierung 
es fertig bringt, die zum Abtransport nötigen 
Schiffe nach Valona zu bringen? Wenn die 
Hilfe nicht rasch kommt, so ist es zu spät und 
eines der furchtbarsten Trauerspiele findet seinen 
unmenschlichen Ausgang. Der Hilferuf der armen 
Menschen verhallte bisher ungehört. Wer es 
mit ansah, wäre kein Mensch, erhöbe er nicht 
laut seine Stimme. 
Es dauerte noch Wochen, bis für die be 
dauernswerten Truppen die Erlösung kam. Für 
die meisten von ihnen war es zu spät; sie haben 
ihre Heimat nicht wieder gesehen. Daß die al- 
banesische Bevölkerung sich den türkischen Truppen 
gegenüber scheußlich benahm, kann kaum ge 
leugnet werden. Die Albanesen hatten gewiß 
keinen Überfluß an Rahrungsmitteln, aber sie 
hätten die türkischen Truppen unterstützen können, 
hätten ihnen den Rückweg und die Verbindung 
mit der Außenwelt ermöglichen können. Die 
türkischen Soldaten, die in Albanien verhungert 
sind, sind später bitter genug an den Albanesen 
gerächt worden. 
Die Petersburger Verhandlungen über den bulgarisch-rumänischen 
Konflikt. 
^ a die direkten Verhandlungen Mischen 
Bulgarien und Rumänien zu keinem 
Ergebnis gelangen konnten, hatten 
sich die Regierungen der beiden 
Staaten darauf geeinigt, die Botschafter der 
Großmächte in Petersburg als Schiedsrichter 
über die strittigen Fragen anzuerkennen. Anfang 
Mai begannen in Petersburg die Verhand 
lungen; am 9. Mai wurde in der russischen 
Hauptstadt das Protokoll über den bulgarisch 
rumänischen Streitfall seitens der Vertreter der 
Großmächte unterzeichnet. Die Konferenz der 
Botschafter hatte sich in bezug auf die Ab 
grenzungsfrage für die Überlassung Silistrias mit 
einem Umgebungsstreifen von 3 Kilometer Breite 
an Rumänien ausgesprochen. 
In einer geheimen Sitzung des rumänischen 
Senats gab am 24. Mai Ministerpräsident 
Majorescu detaillierte Aufklärungen über den 
ganzen Verlauf der diplomatischen Aktion Ru 
mäniens und über das Resultat, das Ru 
mänien durch den Beschluß der Petersburger 
Botschafterkonferenz erreicht hatte. Es wurde 
das Protokoll bekannt, das aus folgenden 
Punkten bestand: 
1. Silistria wird mit einer Umgebung von 
3 Kilometern, von der Barriere der Stadt an 
gerechnet, Rumänien überlassen. 
2. Rumänien hat das Recht, rumänische 
Schulen und Kirchen in Mazedonien zu unter 
halten. 
3. Rumänien steht es frei, seine Grenze 
gegen Bulgarien zu befestigen, während Bulgarien 
dies untersagt ist. 
4. Rumänien gibt den Einwohnern, welche 
die Stadt Silistria verlassen wollen, eine Ent 
schädigung. 
Diese Entschädigung wird von einer aus 
Bulgaren und Rumänen zusammengesetzten ge 
mischten Kommission festgestellt werden.
	        
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