Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Der neue Staat Albanien. 
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keine Saat. Mir näherten uns einer Gruppe 
schaufelnder türkischer Soldaten. 
Schweigend taten sie ihr Merk. Die 10 toten 
Kameraden, um deren kahlen, braungelben Schä 
del Schwärme ekelhafter Fliegen tankten, ver 
langten nach Ruhe. Ein Hodscha mit aufge 
stülpten Ärmeln kauerte am Boden und plättete 
mit den Händen ein eben gewölbtes Grab. 
Bei unserem Rahen erhob er sich und warf die 
aus einen Haufen gelegten Mäntel der Toten 
auf ihre häßlichen Gesichter. Riemand wechselte 
ein Mort. Mir drehten die Pferde und suchten 
den verlorenen Meg. 
Das Erlebnis war nur die Einführung in 
die Stadt und ihre weitgespannte Jone des 
grauenhaften Elends, der Vernichtung und des 
Todes. Fieri ist ein ärmliches Rest dünn ge 
säter, schmutziger Behausungen. Eine öde Stille 
herrscht in den Straßen, selbst wo die Menschen 
— es sind zumeist türkische Offiziere 
und Soldaten — einhergehen oder ein 
zeln oder in Gruppen am Boden 
kauern. Menig Albanesen sind sichtbar. 
Es will Abend werden und die Hitze 
schwängert die Luft mit drückender 
Schwüle. Man brauchte den Menschen 
nicht in die feuchtglänzenden Augen zu 
schauen, um es zu empfinden, daß hier 
heimtückische Fieber herrschten und täg 
lich manches Opfer heischten. Doch war 
dies alles nur ein Vorspiel zu dem un 
nennbaren Grad menschlichen Elends, 
zu dem der Zustand des türkischen 
Heeres gesunken war. Seit dem Monat 
März liegt hier nämlich der auf 
20.000 Mann zusammengeschmolzene 
Rest der türkischen Mestarmee Ali Riza 
Paschas. 
Daß ich mich im Bereich der Türken 
befand, war schon daran zu erkennen, daß mich 
der albanesische Soldat, der mir aus dem Innern 
Albaniens von einem liebenswürdigen Gouver 
neur der provisorischen Regierung mitgegeben 
worden war, verließ, nicht ohne vorher für einen 
türkischen Ersatzmann gesorgt zu haben. In des 
letzteren Begleitung brachen wir auf, um vor 
Rachtanbruch das Lager der italienischen Rote 
Kreuzmission zu erreichen. An eine Unterkunft 
war nämlich in Fieri nicht zu denken, dagegen 
hatten mich die italienischen Arzte, mit welchen 
ich vor einigen Mochen in San Giovanni di 
Medua kurze, aber herzliche Bekanntschaft ge 
schlossen hatte, zum Besuche eingeladen. Fieri 
liegt in einer hügelumkränzten Ebene, die zu 
durchmessen eines Reiterherzens Freude ist. Als 
wir am Fuße der eichenwaldbestandenen Hügel 
angelangt waren, dunkelte es und das Ziel lag 
noch ferne. Die lang verhaltene Furcht meines 
albanesischen Dragomans fand in der durch keine 
Drohungen noch Versprechungen zu ändernden 
Erklärung, keinen Schritt weiter in die durch 
lodernde Feuer zu erkennende Lagerzone der 
Türken zu tun, ihren Riederschlag. Unser lautes 
parlamentieren lockte einen türkischen Offizier 
herbei, mit dem ich mich nicht nur französisch 
verständigen konnte, sondern der mich kurzerhand 
einlud, heute sein und seiner Kollegen Gast zu 
sein. 
Die Herren, es waren 2 Arzte und 3 Vete 
rinäre, hausten in einer kleinen griechischen 
Kirche, während der Vorhof einer Abteilung 
Soldaten zur Unterkunft diente. Die Offiziere 
überboten sich gegenseitig in Schilderungen ihrer 
verzweifelten Lage, aus der seit 3 Monaten 
niemand sie zu erlösen sich bereit finde. Sie 
klagten Europa an, daß es geschehen ließ, daß 
eine Armee langsam qualvollen Hungertod sterbe. 
Mie dies alles gekommen war und warum aus 
eigenem Antrieb und eigener Kraft dem Unheil 
nicht gesteuert wurde, verrieten mir die Leute 
nicht. Es waren Menschen, die die Hände in 
den Schoß legten und mit dem Unglück rech 
teten. Die nächsten Tage lehrten mich freilich, 
daß die resignierende Verzweiflung gute Gründe 
hatte. Gab es wenig zu essen, so war dafür 
umso besser für Trank gesorgt. Der reichliche 
Branntweingenuß machte sich in unangenehmer 
Weise bemerkbar. Die italienische Mission hatte 
den türkischen Ärzten für die Kranken trefflichen 
Kognak abgegeben. Da die Arzte sich jedoch 
selbst als Leidende betrachteten, blieb die Medizin 
auf ihren Kreis beschränkt. Eine unheimliche 
Lustigkeit hatte mit einem Male die Türken 
ergriffen; sie lachten und brüllten wie toll, um 
im Handumdrehen blöde vor sich hinzustieren, oder 
sich gar eine Träne aus dem Auge zu wischen. 
Das war nicht nur der Branntwein, der seine 
Opfer forderte, hier hatten die Ereignisse des 
Friedhof in Aordalbanien.
	        
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