Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Der neue Staat Albanien. 
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Essad Pascha hat als türkischer General die 
Verpflichtung, die Befehle der türkischen Re 
gierung betreffs der Heimsendung der türkischen 
Truppen abzuwarten. Er hat eine Depesche an 
den Großwesir gerichtet, um dessen Befehle zu 
empfangen. Er hat sich übrigens anderseits den 
Konsuln von Österreich-Ungarn und Italien, 
die ihn in Tirana besuchten, zur Verfügung ge 
stellt. 
Dschavid Pascha hat bei Essad Pascha an 
gefragt, ob er sich ihm zur Verfügung stellen 
könne. Essad Pascha antwortete, das) er ihn 
nicht brauche — er solle dort bleiben, wo er sei. 
Dschavid Pascha befindet sich in pojani bei 
Fieri, aber vor ihm ist der Fluß Viosa, dessen 
Übergang die provisorische Regierung von Al 
banien durch 200 Leute bewachen läßt. Der 
Übergang ist so schwierig, das) es für eine 
Truppe, die in so elendem Zustand ist, wie die 
Leute Dschavid Paschas, fast unmöglich sein 
wird, den Fluß zu überschreiten. Demnach sind 
alle Gerüchte darüber, das) Dschavid Pascha 
Valona genommen und die provisorische Re 
gierung verjagt habe, und was sonst an De 
tails erzählt wird, absolut falsch. Dschavid 
Pascha war und ist vielleicht noch immer gegen 
die Albanesen eingenommen, er hat das alba- 
nestsche Banner in permeti beschimpft, er hat 
albanesenfeindliche Ideen ausgesprochen, aber 
sein Ehes, Ali Riza Pascha, hat sowohl von 
der früheren Regierung Kiamils, wie von der 
jetzigen Regierung Schefket Paschas den Befehl 
erhalten, den neuen Zustand Albaniens anzu 
erkennen. Dschavid Pascha hat nicht die Mittel, 
gegen Valona zu rücken und vermag auch nicht 
die Ordnung in seiner Truppe zu erhalten, die 
übrigens im ganzen 2000 bis 3020 Mann stark ist. 
Von der Rot, die in Albanien herrscht, gibt 
die Tatsache Zeugnis, das) in der Ebene von 
Musekia aus Mangel an Lebensmitteln 8000 
Pferde umgekommen sind. Jetzt gibt es wieder 
Heu, aber keine Pferde mehr. In der Umgebung 
von Kotschani befinden sich Ali Riza Pascha, 
der Chef der ganzen Vardararmee, und Zekki 
Pascha, in Berat befindet sich Kara Said mit 
Mahmud Pascha Zella aus Tirana. Alle diese 
Paschas einschließlich Dschavid Pascha verfügen 
zusammen über 15.000 bis 16.000 Mann. Seit 
der Hafen von Valona wieder geöffnet worden 
ist, sind einigermaßen erträgliche Zustände unter 
diesen Truppen eingekehrt, weil die türkische 
Regierung 300.000 Francs und ein Schiff mit 
Lebensmitteln geschickt hat. Immerhin bringt 
aber ihre Anwesenheit eine komplette Anarchie 
in Albanien mit sich, weil sie weder fähig sind, 
die Ordnung herzustellen, noch die provisorische 
Regierung stark genug ist, mit ihnen fertig zu 
werden. Deshalb finde ich es dringend geboten, 
daß die Mächte der Anarchie ein Ende machen 
und das Mittel finden, um Ordnung in das 
Land einkehren zu lasten. 
Der Freiheitsheld Riazi Bey ist in Valona, 
als er ein Schiff besteigen wollte, von Alba 
nesen ermordet worden. Diese Tat zeigt die 
Schwäche der provisorischen Regierung, und 
vielleicht wird auch dadurch der Haß gegen die 
türkische Soldateska genährt, die sich ja ohne 
hin als an dem Lande nicht mehr interessiert 
erklärt hat. Menn man den umlaufenden Ge 
rüchten Glauben schenken kann, war es ein 
Verwandter Schemsi Paschas, der Riazi aus 
Rache getötet hat, weil sein Onkel seinerzeit 
anläßlich der Verkündigung der Verfassungs- 
Proklamation in Monastir getötet worden war. 
Ich bin sicher, daß die provisorische Regierung 
Albaniens nach Möglichkeit die notwendigen 
Maßregeln ergreifen wird, um den Frieden im 
Lande zu schaffen und aufrecht zu erhalten. 
* * * 
Daß Essad Pascha es in Abrede stellte, daß 
er eine Unabhängigkeitserklärung erlassen habe, 
spricht nicht besonders für seine absolute Glaub 
würdigkeit; die Erklärung war erfolgt, und das 
ist beinahe zweifellos, daß Montenegro glaubte, 
auf Versprechungen rechnen zu können, die der 
Verteidiger von Skutari nun nicht zu halten 
gedachte. Zwischen Essad Pascha und der pro 
visorischen Regierung in Valona waren bereits 
Beziehungen angeknüpft; der General war offen 
bar zur Überzeugung gelangt, daß er bester 
fahren würde, wenn er im Einvernehmen mit 
Österreich-Ungarn und Italien und mit der von 
diesen Mächten protegierten Regierungen ope 
riere. 
Der Hungertod der türkischen Mestarmee. 
In der Erzählung Sureya Bey Vloras ist 
von den türkischen Truppen die Rede, den 
Resten der Vardararmee, die noch in Albanien 
stand. Diese versprengten Truppen, die zum Teil 
auch aus Zanina gekommen waren — man er 
innert sich, daß ein Teil der türkischen Armee 
vor dem Einzüge der Griechen in Zanina ab 
gezogen war — befand sich in der allertraurig 
sten Verfassung. Ein Korrespondent der „Frank 
furter Zeitung", der Ende Mai in Valona 
war und diese Reste einer Armee gesehen hat, 
schrieb darüber: 
Als die Minaretts der albanesischen Land 
stadt Fieri schon in greifbarer Rähe aus dem Grün 
gewaltiger Platanen zum Himmel strebten, be 
gab es sich, daß unsere kleine müde Reisegesellschaft 
die kaum erkenntlichen Spuren des Meges ver 
lor und sich plötzlich zwischen den braunen 
Grabhügeln eines jungen Friedhofes befand. 
Er sah einem eben geschürften Ackerfelde gleich, 
doch was man hier in die Erde bettete, brachte
	        
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