Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

4)0 
Das Aachgeben Montenegros. 
□□ 
wird vom Brigadegeneral Becir an den eng 
lischen Admiral Burney erfolgen. 
Um 10 Uhr sind bei der Bojanabrücke die 
beiden italienischen Transportdampfer „Malfalda" 
und „Jolanda", sowie der österreichische Lloyd 
dampfer „Skutari" angekommen. Die albanesische 
Bevölkerung, die aus der ganzen Stadt und 
der ganzen Umgebung herbeigeströmt war, be 
reitete den Schiffen eine warme Sympathie 
kundgebung. Man sah viele Leute, die Freuden 
tränen vergossen. Die Dampfer verankerten sich 
vor Skutari, sie trugen Flaggengala. 
Eine montenegrinische Schaluppe mit eini 
gen Stabsoffizieren näherte sich der „Malfalda", 
auf der sich die Kommandanten der internatio 
nalen Flotte befinden. Kur) darauf lassen die 
Dampfer ihre Boote ins Wasser und 500 Ma 
trosen nehmen darin Platz. In einem Motor 
boot fahren der englische Vizeadmiral Burney, 
der österreichisch-ungarische Konteradmiral Nje- 
govan, der italienische Konteradmiral patris, 
der gestern mit dem „Garibaldi" in San Gio 
vanni di Medua angekommen war, der Kom 
mandant des „Ernest Renan", Fregattenkapitän 
Lautier, und der Kommandant des deutschen 
Kreuzers „Breslau", Fregattenkapitän von 
Klitzing, voraus. Sie wurden am Ufer von 
General Becir erwartet. 
Die Begrüßung war eine herzliche. Die 
Kais waren von einer jauchzenden, frohlocken 
den Menge dicht besetzt, welche die ankommen 
den Truppen mit Tücherschwenken begrüßte und 
unausgesetzt Hochrufe auf die verschiedenen Na 
tionen ausbrachte. 
Der Einzug in die Stadt gestaltete sich zu 
einem wahren Triumphzug. Während auf der 
einen Seite die Befreier einrückten, verließen 
auf der anderen die Montenegriner die Stadt. 
Die Männer der Schwarzen Berge, welche die 
Stadt 6 Monate hindurch belagert hatten, zogen 
stillschweigend und niedergeschlagen gegen den 
Tarabosch. Während ich telegraphiere, dauern die 
Jubelrufe der Bevölkerung noch fort. In Skutari 
herrscht ein Freuden- und Freiheitstaumel. 
Soweit der Korrespondent. Uber die Verein 
barungen, die zwischen Admiral Burney und 
dem montenegrinischen Kommandanten Becir 
getroffen wurden, verlautete von montenegrini 
scher Seite folgendes: 
1. Die montenegrinischen Offiziere, die für 
den Transport des die montenegrinische Beute 
bildenden Kriegsmaterials die Vorbereitungen 
zu treffen haben, dürfen in der Stadt wohnen, 
das Seitengewehr tragen und ihre Ordonanzen 
behalten. 
2. Die montenegrinischen Soldaten, die den 
Transport des genannten Materials zu bewerk 
stelligen haben, betreten die Stadt, ohne Waffen 
zu tragen. 
3. Bis zur Beendigung des Materialtrans 
ports werden einige montenegrinische Offiziere 
gemeinsam mit den Offizieren des internatio 
nalen Detachements die Polizeibefugnisse aus 
üben. 
4. Bis zur Anwerbung von Post-, Tele 
graphen- und Zollbeamten werden montene 
grinische Beamte in diesen drel Dienstzweigen 
verwendet werden. 
5. Die montenegrinischen Soldaten, die mit 
den Transporten beschäftigt sind, können vom 
Admiral im Bedarfsfälle zur Hilfeleistung heran 
gezogen werden. 
Die Skutarifrage war damit gelöst, dem 
Willen der Mächte Geltung verschafft. Mon 
tenegro, das auf nicht ganz einwandfreiem Wege 
sich in den Besitz der Stadt hatte sehen wollen, 
war verdrängt; die Truppen der internationalen 
Flotte hatten die Stadt, die schreckliche 
Schicksale zu erleiden gehabt, besetzt. Mit dieser 
Regelung der Skutarifrage war der Krieg 
eigentlich abgeschlossen; nunmehr konnten die 
Balkanstaaten daran gehen, den Frieden zu 
schließen. Einen größeren Gewinn aber hatte 
von dieser Regelung eines an sich schwierigen 
Problems Europa, das in einer außerordentlich 
kritischen Zeit doch so viel Vernunft aufbrachte, 
daß ein europäischer Krieg vermieden wurde. 
Gewiß waren nach der Übergabe Skutaris an 
die Truppen der internationalen Flotte noch 
lange nicht alle Schwierigkeiten für die euro 
päischen Kabinette aus dem Wege geräumt; 
gewiß harrte noch ein ganzer Komplex von Fra 
gen, die den Balkan betrafen, der Lösung; ge 
wiß war das gegenseitige Mißtrauen zwischen 
den einzelnen Mächtegruppen noch nicht ge 
schwunden, kaum geringer geworden. Aber der 
Friedenswille Europas hatte doch eine sehr starke 
Belastungsprobe ausgehalten, und nachdem diese 
schwerste Gefahr vorübergezogen war, konnte 
die Welt befreit aufatmen, mit Hoffnung in die 
Zukunft sehen. 
Zunächst mußte der Friede zwischen der 
Türkei und den Balkanstaaten geschlossen wer 
den. Die zwischen Bulgarien und der Türkei 
vereinbarte Waffenruhe war immer wieder ver 
längert worden; in London befanden sich die 
Delegierten der Pforte und der Balkanstaaten, 
und die Botschafter der Mächte arbeiteten an 
einem Vertragsentwurf, der zunächst den Prä 
liminarfrieden bringen sollte. Außer diesem Prä 
liminarfrieden hatten die Mächte noch die alba 
nesische Frage und die Frage der Agäischen 
Inseln zu erledigen, Fragen, die sie sich nach 
dem Beschluß der Botschafterkonferenz vorbe 
halten hatten. Der autonome Staat Albanien 
bestand nur im Prinzip, und nur die Nord- und
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.