Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

28 
Die proklamierung der Unabhängigkeit Albaniens. 
□□ 
fremde Landwirte heranziehen, die die Lehrer 
unserer Bauern werden sollen und die Begs, 
die bei uns die Großgrundbesitzer sind, werden 
alles daransetzen, um den Bauern das Empor 
kommen zu erleichtern. Bei uns ist das Ver 
hältnis Mischen Beg und Bauer das folgende: 
Der Beg, der Grundherr, liefert dem Bauer 
den Boden, das Haus, den Samen, die Arbeits 
tiere und erhält dafür von dem Ertrag der Pro 
duktion ein Drittel, während der Bauer Mei 
Drittel behält. Dadurch wird es auch dem 
ärmsten Teufel möglich gemacht, sich in die 
Höhe zu arbeiten. So mancher unserer Bauern 
hat mit nichts angefangen und ist heute ein für 
unsere Begriffe wohlhabender Mann. Viele 
sind sogar reicher als ihre Grundherren. Ra- 
türlich werden wir dafür 
Sorge tragen, daß auch 
diejenigen Bauern, die noch 
kein Land besitzen, solches 
erhalten. 
Die Administration wird 
so gehandhabt werden, das) 
das ganze Land in Prä 
fekturen geteilt wird. Eine 
Einführung beabsichtigen 
wir, von der wir uns mit 
Rücksicht auf den Charakter 
unseres Volkes sehr viel 
versprechen. In jedem Dorf, 
in jeder Kommune wird ein 
kleiner, aus den Gemeinde 
mitgliedern gewählter Ge 
richtshof konstruiert werden, 
der die Streitigkeiten der 
Bauern zu schlichten haben 
wird. Der Albanese ist ge 
recht und liebt vor allem eine 
schnelle Gerechtigkeit, eine 
Gerechtigkeit Zug um Zug. 
Die Türken haben in 
den 4 Jahrhunderten, die 
sie uns beherrscht haben, nichts getan, um 
uns Gesetze zu geben, die diesem Gerechtigkeits 
bedürfnis unseres Volkes entsprechen. Daher 
auch die Blutrache. Der Albanese konnte nie 
und nimmer verstehen, das) man einen Mörder 
ins Gefängnis sperrt; wer getötet hat, mus) 
auch getötet werden. Und so kam es, das) er 
zur Flinte griff und sein eigener Richter wurde. 
Aus Gerechtigkeitsgefühl, nicht aus Blutdurst 
oder Wildheit. Denn, sehen Sie, wenn ein 
Mann zur Strafe für ein Verbrechen erschossen 
wurde, so war sein eigener Bruder der erste, 
der den Rächer wegen seiner Tat belobte. Jeder 
Mord wird verziehen, wenn er gerächt ist. Und 
deshalb haben wir auch begründete Hoffnung, 
das) die Blutrache schwinden wird, wenn erst 
einmal unsere Leute sehen werden, das) die 
priry Achmed Kuad. 
Justiz in unserem neuen Staate schnell und ge 
recht arbeitet. 
Wir werden unsere jungen Leute überall 
dorthin senden, wo es etwas zu lernen gibt. 
Heute schon haben wir viele auf den Ackerbau 
schulen in Klagenfurt, in Strebersdorf und Edel 
hof, ferner befindet sich eine große Anzahl al- 
banesischer Jünglinge auf den technischen Schulen 
in Wien und Budapest. Die Studenten, die 
wir in Konstantinopel haben, werden von dort 
abberufen und nach Europa geschickt werden. 
Wir brauchen Landwirte und Ingenieure, denn 
unser Land ist fruchtbar und auch sehr reich an 
Mineralien. Wir haben Kohle, Chrom, bei 
Skutari sehr viel Eisen, ferner Blei und Silber. 
Das alles liegt bis jetzt brach, aber nun wollen 
wir daran gehen, die Schätze 
unseres Landes auszubeuten. 
Die Eisenbahnen, die 
wir dazu brauchen, sind 
bereits projektiert, und zwar 
in 3 Linien: die erste geht 
von Valona aus über Mo- 
nastir nach Saloniki; die 
zweite von Durazzo über 
Tirana, Elbaffan, Dibra, 
Ochrida nach Saloniki und 
sendet einen Zweig von 
Dibra aus über Gostivar 
und Kalkandelen nach Us- 
küb, um hier Anschluß an 
die Orientbahnen zu finden. 
Die dritte wird Skutari mit 
dem Hochland verbinden. 
Diese Linie steht jedoch 
noch nicht ganz fest, da hier 
die Donau—Adriabahn in 
Frage kommt. 
Unsere Häfen sind durch 
die Ratur gegeben, und 
zwar Valona, Durazzo, 
Santa Ouaranta und San 
Giovanni di Medua. Ob wir einen von ihnen 
befestigen werden, kann ich noch nicht sagen; wir 
werden ein neutraler Staat sein, aber natürlich 
werden wir für die Verteidigung unseres Landes 
Sorge tragen. 
Jur Hauptstadt unseres Staates ist durch 
die Lage Elbaffan prädestiniert. Wir haben 
aber eine Stadt, die durch die Geschichte dazu 
berufen ist, Kruja, die Stadt Skanderbegs, die 
heilige Stadt Albaniens. Auch Alessio kommt 
in Frage, denn hier ruhen die Gebeine Skan 
derbegs. 
Und gerade dieses Alessio, das die Seele 
Albaniens ist, wollen die Serben haben. Kann 
noch etwas die Kühnheit ihrer Forderungen 
deutlicher illustrieren? In Europa macht man 
sich ja keinen Begriff von der Maßlosigkeit,
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.