Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Übergabe von Skutari an die Montenegriner. 
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des Herzens gewesen sein. Die Türken verach 
teten zum mindesten das christliche Brot nicht, 
das in aller Eile und in solcher Menge nach 
Skutari gebracht wurde, daß man darob 
2 Tage die vor der Stadt liegenden eigenen 
Truppen im Stiche ließ, was von diesen nicht 
ohne Mißbehagen quittiert wurde. Am liebsten 
wäre gleich das ganze Heer in die Stadt ge 
zogen, und die Offiziere hatten nicht geringe 
Mühe, die Ungeduldigen zurückzuhalten. 
Man hatte auf montenegrinischer Seite den 
Soldaten durch strengen Armeebefehl die größte 
Zurückhaltung auferlegt. Zum Lobe sei es fest 
gestellt, daß nicht ein Vorfall sich ereignete. 
Besiegte, Belagerte und Sieger verstanden sich 
vortrefflich. Man konstatierte diese erfreuliche 
Tatsache um so lieber, als zu Anfang des 
Krieges einige Montenegriner (es waren Sol 
daten der alten und ältesten Schule) die Aasen 
von zirka IO Türken und Albanesen zu lang 
fanden, und sie rasch entschlossen um die Spitze 
verkürzten, ohne den Leuten weiter ein Leid 
zu tun. Fremde Länder, fremde Sitten. Jm 
allgemeinen ist jedoch der Sohn der Schwarzen 
Berge ein recht harmloser Freund, den man 
bald zugetan ist. 
Hassan Riza und Skutari. 
Man hat während des Krieges manchmal 
ein anderes Urteil über die Montenegriner ge 
hört, aber es scheint richtig zu sein, daß sie sich 
durchschnittlich zu den Belagerten in Skutari 
nach der Einnahme gut verhielten. Lassen wir 
übrigens dem Korrespondenten weiter das Mort, 
der Anfang Mai aus Skutari selbst seine Ein 
drücke folgendermaßen schildert: 
Inmitten der Stadt bestatten die Türken 
nach altem Brauch ihre Toten und die Fried 
höfe gleichen Gärten, aus denen die blendend 
weißen Minarette wie die Stengel einer Wunder 
blume aufsteigen. In einem dieser von niemand 
gepflegten Totengärten stand ich heute an einem 
schmucklosen, frisch gemauerten Grabe. Die beiden 
üblichen Endsteine mit den Koransprüchen und 
dem Ramen des hier Bestatteten fehlen. Einige 
frische Rosen hat ein Unbekannter auf die schwarze 
Erde gestreut. Sie galten Hassan Riza Bey. Hier 
hat der ungewöhnlich Begabte seine bescheidene 
Ruhestätte gefunden. Als meine Kamera auf den 
Grabhügel eingestellt war, traten einige monte 
negrinische Soldaten daneben, denen das Photo 
graphiertwerden gleich nach dem Iigaretten- 
drehen kommt. Ich glaubte eine Hinterlist zu 
tun, wenn ich den Ahnungslosen nicht erklärte, 
daß ihr erbitterter Feind hier schlafe. Die braven 
Burschen lächelten erst verständnislos und ließen 
sich, auch als ihnen der Sinn meiner mühsamen 
Sätze erschlossen war, nicht mehr aus ihrer Pose 
bewegen. 
Ich habe mir aus dem Munde einer jungen 
Schweizer Erzieherin aus Cetinje, die nicht nur 
das Grab, sondern auch seinen Inhalt kannte, 
auf einem umgestürzten, turbangeschmückten 
Grabstein sitzend, manches aus dem reichen 
Leben Haffan Rizas erzählen lassen. Die 
Schweizerin war mit ihrem Bruder auf einer 
archäologischen Studienreise in Mesopotamien 
mit dem Türken zusammengetroffen, der damals 
die Aufgabe hatte, 20 Jahre versäumte Steuern 
bei den Arabern einzutreiben. Beim Lagerfeuer, 
beim Reisbrei und Schafbraten gab es oft 
erwünschtes Zusammensein. Hassan Riza soll 
nicht nur ein reines Deutsch gesprochen, sondern 
eine wahrhaft tiefe Kenntnis westeuropäischer 
Kultur und Geisteswissenschaft besessen haben. 
Er hatte unter Graf Haeseler im Elsaß gedient. 
Aus vornehmer reicher Familie wie seine Gattin 
stammend, wucherte er, ein Weiser, mit seinen 
Talenten. Obgleich unschön und von nicht großer 
Gestalt, entströmte seinem Wesen ein unwider 
stehlicher Hauch von Sympathie. Er war Türke 
vom Scheitel bis zur Sohle, und doch ein 
Abendländer, nicht im Äußeren nur, wie so 
viele Jungtürken, sondern in seiner geistigen 
Struktur. 
Konnte es eine bessere Vorbereitung geben, 
die von seinem Geist geschaffenen Festungswerke 
zu besuchen, als dies Erlebnis an der beschei 
denen Ruhestätte seines Leibes? 
Die Befestigungen und Verschanzungen längs 
der Breitseite der Stadt, quer über das flache 
Land zwischen dem See und dem Bardagnol- 
gebirge hatte ich bei meinem Eindringen in 
Skutari gesehen. Mir fehlen Fachkenntnisse, um 
Zensuren austeilen zu können. Auf einer der 
kreisrunden Artilleriefestungen stieß ich mit Ge 
neral Becir zusammen, der voller Bewunderung 
über die Anlage war. Und der mußte es wissen 
und hatte nichts zu beschönigen. Solcher Stel 
lungen zählt die Ebene 16; sie mögen einen 
Durchmesser von 1OO Meter haben, waren künst 
lich leicht erhöht und fielen in einer schiefen 
Ebene ab, so tief, daß man beim Räher- 
kommen den sechsfachen Stacheldraht erst sah, 
wenn man davorstand. Das Innere der kleinen 
Hügel war unterminiert und die Unterstände tief 
und sicher eingebaut, bedeutend komfortabler als 
bei den Montenegrinern, denen es an Brettern 
fehlte, um sich tiefer in den Boden einzugraben. 
Die Einzäunung durch das Drahtgewirr war 
vollständig und der Zugang und die Weiter 
führung zu den einfachen Schanzgräben unter 
irdisch. Vor diesen zog sich, unserem Auge von 
weitem sichtbar, der Drahtzaun ununterbrochen 
bis zum Kirinfluß und zum See fort. Die Ver 
bindung mit der Stadt und den etwas näher 
liegenden Kasernen geschah durch Iickzackschützen- 
gräben. Übrigens bot auch da und dort ein
	        
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