Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die proklamierung der Unabhängigkeit Albaniens. 
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Mitarbeiter eines Wiener Blattes mit einer 
Anxahl von albanesischen Führern hatte. Er be 
richtet darüber: 
Einige hervorragende Albanesen, die sich 
aus den verschiedenen Nichtungen der Windrose 
in ihre Heimat begeben, haben in Wien einige 
Tage Aufenthalt genommen. Diese albanesischen 
Führer bindet irgendein persönliches Moment 
an unsere Stadt. Der eine hat hier studiert, 
der andere hat hier literarische oder politische 
Freunde, der dritte liebt und verehrt die uralte 
Kultur der Kaiserresidenx, so hat jeder etwas, 
was ihn hergeht, ganx abgesehen von den 
großen politischen Momenten, die gegenwärtig 
unsere Monarchie xum Verteidiger der Unab 
hängigkeit Albaniens machen. So befinden sich 
gegenwärtig hier xwei der bedeutendsten Führer 
Südalbaniens, Fasil Pascha Toptani und Der 
wisch hima; sie halten sich hier auf, um mit 
politischen Persönlichkeiten xu konferieren. Sie 
. sind von verschiedenen Herren begleitet, wie hil 
Mossi, einem aus Skutari gebürtigen katholischen 
Albanesen» der als Poet bei seinen Landsleuten 
hohes Ansehen genießt, und dem aus Konitza 
stammenden orthodoxen Schriftsteller Gura. 
Derwisch hima sieht mit seinem krausen 
Lockenkopf, seinem üppigen schwarten Vollbart 
und mit dem Zwicker auf der Vase eher wie 
ein abendländischer Gelehrter, als wie ein Vor 
kämpfer der albanesischen Freiheit aus. Und 
doch war dieser Mann einer von denen, die die 
Jungtürken mit ihrem unversöhnlichen hasse 
verfolgen, den sie erst in Skutari, dann in 
Saloniki eingekerkert, den sie xum Tode verur 
teilt hatten, weil er nach Einführung der Kon 
stitution den Grundsatz verkündete: Albanien 
den Albanesen) Bei dem letzten großen Auf 
stand in diesem Jahre war er einer der ersten, 
die im südlichen Albanien in die Berge gingen. 
Bei Argyrokastro kämpfte er mit seiner Schar, 
bei der sich auch einige der Partei des bekannten 
Meuterers Tajar Bey angehörige Offiziere be 
fanden. So sind sie alle, diese Führer des al 
banesischen Volkes. Sie kämpfen in Schrift und 
Nede für ihre Vation; wenn aber diese Waffen 
versagen, dann xiehen sie den modernen Schrift 
steller und Agitator aus, nehmen ihren Mann- 
licherkarabiner und gehen in die Berge. 
Derwisch hima präsentiert sich heute ganx 
abendländisch und dieser Eindruck wird noch 
durch das elegante Französisch verstärkt, das er 
spricht. Zu Beginn unserer Unterhaltung legte 
ich ihm eine römische Depesche vor, die von 
Unstimmigkeiten xu berichten weiß, die bereits 
24 Stunden nach der proklamierung der Un 
abhängigkeit Albaniens unter den Albanesen 
ausgebrochen sein sollen. In dieser Depesche 
heißt es, das christliche Skanderbegkomitee xu 
Elbassan habe gegen die Wahl Ismail Kemal 
Beys xum Leiter der provisorischen Negierung 
protestiert, weil dieser ausschließliche islamitische 
Interessen vertrete. 
Diese Nachricht, meinte Derwisch hima, ist 
in dieser Form gewiß nicht richtig und stammt 
aus Kreisen, die auf die Autonomie Albaniens 
mit scheelen Augen blicken. Zunächst befindet 
sich der Sitz des Skanderbegkomitees nicht in 
Elbaffan, sondern in Amerika, in Boston, wo 
eine etwa 40.000 Köpfe starke Kolonie besteht. 
Dann ist es auch nicht richtig, daß Ismail 
Kemal nur islamitische Interessen vertritt, er 
kämpft wie wir alle für Albanien und an seiner 
Seite befindet sich als Vizepräsident ein katho 
lischer Priester, Vikola Caccolini, der beste Be 
weis dafür, daß alle Neligionen Albaniens 
Hand in Hand für die Freiheit unseres Landes 
arbeiten. Als ich im Juli die albanesischen 
Studenten in die Berge führte, waren viele 
Christen bei mir. 
Bei uns Albanesen kommt xuerst das Vater 
land und in zweiter Linie die Neligion. Es ist 
ja möglich, daß durch die maßlose slawische 
Propaganda im Vörden und Vordosten und 
durch die griechische im Süden unseres Landes 
hie und da gewisse Gegensätze Mischen den 
einzelnen Neligionen entstanden sind, aber nach 
haltige Folgen haben sie nicht gehabt, können 
sie infolge unseres Charakters auch beim nie 
deren Volke nicht haben und es ist ausge 
schlossen, daß durch sie die Einigkeit der Alba 
nesen auch nur für einen Moment ernsthaft ge 
stört wird. 
Und dann: Alle Welt weiß ja, daß die 
Negierung, an deren Spitze Ismail Kemal 
steht, nur eine provisorische ist. Erst wenn die 
Nationalversammlung zusammengetreten ist wird 
entschieden werden, aus welcher Nation Europas 
wir unseren Fürsten wählen werden. Das Volk 
wird darüber entscheiden. Diese Wahl dürfte 
in Elbassan stattfinden, das durch seine zentrale 
Lage am besten xum Sitz einer Nationalver 
sammlung geeignet ist. hier werden wir unseren 
xukünftigen Herrscher wählen, und xwar, wie 
ich schon sagte, aus einem Lande Europas, 
nicht aus den Familien unseres Landes, denn 
wenn wir das täten, würden wir Fragen auswerfen, 
deren Lösung unüberwindliche Schwierigkeiten 
bereiten müßte. Wir haben an dem einen Bei 
spiel genug, das uns der barbarische Königs 
mord }ü Belgrad im Jahre 1903 bietet. Aus 
welchem Hause unser künftiger Herrscher ent 
nommen sein wird, kann ich Ihnen natürlich 
noch nicht sagen, aber das steht fest, von all 
den sogenannten Prätendenten, die so laut von 
ihren angeblichen Nechten reden, wird es keiner 
sein. 
Die Form der Monarchie werden wir für 
unseren jungen Staat annehmen müssen, denn
	        
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