Die Ermordung des Königs Georg von Griechenland.
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Tat den Eindruck eines Geistesgestörten. Auf
alle Fragen gab er ausweichende Antwort.
Es stellte sich im Laufe der Untersuchung
heraus, daß er Grieche war, ein Lehrer namens
Schinas, der aus Unzufriedenheit das Attentat
verübt hatte. Er war in Athen als Alkoholiker
von schwachem Intellekt polyeibekannt, ein
herabgekommener Mensch, der keine Komplizen
hatte, sondern aus eigenem Antrieb die Tat
verübte.
Der Mörder hat sich später in der Unter
suchungshaft selbst getötet.
Das) die Trauer in Griechenland gros) war,
ist selbstverständlich. Die dynastischen Gefühle
in Griechenland waren zwar nicht besonders
groß; vor wenigen Jahren noch hatte die griechi
sche Bevölkerung nicht übel Lust gezeigt, die
Dynastie zu verjagen, aber nun hatte die
griechische Armee große Erfolge errungen, die
selbstverständlich auch die Popularität des Königs
hauses steigerten. Die Trauer im Königreiche
war groß und aufrichtig.
Auch auf das Ausland wirkte die Rachricht
von dem Attentat erschütternd. In Saloniki,
der Stadt, die König Georg kurze Zeit vorher
als Sieger betreten hatte und die er mit seinem
Reich zu vereinigen hoffte, kurz nach dem
Empfang der Siegesmeldungen von Ianina
ist der König ermordet worden. Der Meuchel
mord riß den Monarchen, der viele Jahre daran
gearbeitet hatte, die Sehnsucht seiner Ration
zu erfüllen, in dem Augenblick aus dem Leben,
in dem es ihm gelungen war, sein Ziel zu er
reichen. Der König hat schwere Zeiten durch
zumachen gehabt, er hat Mederlagen und ihre
bitteren Folgen kennen gelernt, und es hat
Mochen und Monate gegeben, in denen das
Volk sich so sehr von ihm abwendete, daß der
Thron gefährdet schien. Damals drückte auf ihn
und sein Haus die ganze Last der Mißstimmung
über die Aussichtslosigkeit, Kreta zu gewinnen.
Jetzt war alles gewendet.DieDynastiewarpopulär
geworden; der König war es und der Kron
prinz der Führer der siegreichen Truppen, war
es nicht minder. Und in diesem glänzenden,
tröstenden und hoffnungsvollen Abschnitt seiner
fast 50jährigen Regentenlausbahn ist sie plötz
lich und in häßlicher Meise abgeschnitten
worden.
Fast genau 50 Jahre waren es, seit — am
30. Mär) 1863 — die griechische Rational
versammlung dem zweiten Sohne des Königs
Christian IX. von Dänemark die Krone ange
boten hatte, die dem bayrischen Otto entrissen
worden war. Es erforderte ernste Überlegung,
ob der 18jährige Jüngling — geboren am
24. Dezember 1845 — in das Land geschickt
werden solle, das von Parteiungen zerrissen war,
sich in schlimmen finanziellen Röten befand und
Balkankrieg. H.
viel zu klein an Umfang für das brennende
Verlangen der Griechen, die hellenisch sprechen
den Gebiete zu einem unabhängigen Ganzen
zusammenzuschließen. Die Entscheidung wurde
dadurch erleichtert, daß England versprach, die
Jonischen Inseln, die leidenschaftlich nach Ver
einigung mit dem Königreiche strebten und die
der Londoner Regierung schwere Verlegenheiten
bereiteten, abzutreten. Am 30. Oktober, 14 Tage
ehe sein Vater den Thron bestieg, kam er im
Hafen von Piräus an und am Tage darauf
übernahm der schlanke blonde Däne die Re
gierung Griechenlands. Er legte seinen Tauf
namen Milhelm ab und nannte sich Geor-
gios I.
In seinem Mesen hatte König Georg
wenig den Griechen Verwandtes. Aber er
brachte seinem Lande eine aufrichtige Liebe
entgegen und den Millen, ihm zu dienen. Es
war nicht seine Absicht und es lag nicht in
seiner Ratur, mit seiner Persönlichkeit hervor
zutreten und seine Zurückhaltung ist ihm oft
als Verdienst hoch angerechnet, oft auch, wenn
die inneren Kämpfe gar zu stark wurden, übel
genommen worden. Es hat sich gezeigt, daß sie
im großen und ganzen in dem Lande, in dem
das politische Treiben sehr lebhaft ist, der Dy
nastie, die er gründete, zum Vorteil gereicht
hat. In der auswärtigen Politik erwiesen seine
Familienbeziehungen sich oft als höchst wertvoll für
Griechenland. Der Kriegssturm, der über Däne
mark hinwegzog und den Verlust von Schles
wig-Holstein zur Folge hatte, änderte nichts an
der Stellung des dänischen Hofes in Europa.
Der König von Griechenland war der Schwager
des Prinzen Eduard von Males und verdankte
zum Teil dieser Beziehung seine Krone. Im
Jahre 1866 vermählte sich seine zweite Schwe
ster, Dagmar, mit dem nachmaligen Kaiser
Alexander III., im Jahre 1867 heiratete er die
Großfürstin Olga Konstantinowna. Menn- die
russische Politik auf dem Balkan die Slawen
bevorzugte, so machte sich trotzdem in wichtigen
Augenblicken doch auch die nahe Verbindung
des Königs mit dem Petersburger Hofe geltend
und die Sympathie Englands zeigte sich
wenigstens am Anfang praktisch, nützlich.
Rach der Einverleibung der Ionischen Inseln
trat eine längere Pause in der Erweiterung der
Grenzen ein. Erst der russisch-türkische Krieg
gab Gelegenheit zu einer neuen Vergrößerung,
die sich Griechenland dadurch verschaffte, daß es,
so gut es damals konnte, in den Kampf eintrat.
Rach dem Berliner Kongreß erhielt es Thessa
lien, die Aussichten auf den Epirus zerschlugen
sich. Aber das griechische Volk hörte nicht auf
zu hoffen. Es hoffte mit einer Stärke, als hätte
es dadurch die gewünschten Landgebiete aus
den Händen der Türkei sich herüberziehen
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