Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Der Fall von Ndrianopel. 
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Mm Merk ritt, wo er Schükri Pascha mit 
Offizieren und 2 Bataillone Infanterie antraf. 
Oberst Marcholew unterrichtete ihn kur) über 
die Lage, worauf sich Schükri Pascha ergab. 
Oberst Marcholew ritt Mnächst zu seinen beiden 
Eskadronen zur Brücke zurück, holte einen Zug 
auf das Merk vor und brachte Schükri Pascha 
zur Tundschabrücke. Von hier aus wurde er in 
einem Magen auf das Merk Kajik Tabia der 
Ostfront geführt, wo zunächst General Masow, 
dann General Iwanow die Übernahme der 
Stadt von Schükri Pascha entgegennahmen, 
über seine Bitte wurde Schükri Pascha ge 
stattet, die Vacht in Haidirlik zu verbringen, 
wo er unter Bewachung eines Infanteriezuges 
verbleiben sollte. Indessen erlies) Schükri Pascha 
an die noch im Kampfe stehenden Truppen der 
Vordwest- und Südseite den Befehl, jeden 
weiteren Miderstand aufzugeben, worauf das 
bulgarische zweite Armeekommando verfügte, 
das) die verbündeten Truppen die Abschnitte zu 
besetzen und in denselben zu verbleiben haben. 
Die bisher gefangenen türkischen Truppen 
wurden zunächst in Kasernen untergebracht. 
Bis gegen 1 Uhr nachmittags war der 
Kampf auf allen Linien eingestellt. 
Von den in die Gürtellinie eingerückten 
Serben drang das 20. Infanterieregiment in 
die Stadt und nahm auf dem Mege über 
Haidirlik Schükri Pascha zum zweitenmal ge 
fangen. 
Als General Masow (Kommandant der 
Angriffstruppen der Ostseite) hievon erfuhr, 
sandte er seinen Adjutanten nach dem Merk 
Haidirlik, der Schükri Pascha den Serben ab 
forderte und in die Stadt brachte, wo dieser 
am nächsten Tage — 27. März — seinen 
Säbel zur Verfügung stellte. 
In den Kämpfen vom 25. März, um den 
Besitz der Vorfeldstellung im Ostabschnitt, hatten 
die Bulgaren rund 1300 Türken gefangen ge 
nommen und 32 Geschütze erobert. 
Die Bulgaren beziffern ihre Gesamtverluste 
während der sechsmonatigen Kämpfe mit 10.000 
bis 11.000 Mann an Toten und Verwundeten. 
In den entscheidenden Kämpfen um den 
Fall der Festung sollen die Verluste der Bul 
garen an Toten und Verwundeten etwas über 
5000 Mann betragen haben. 
Zu erwähnen ist noch, das) in dem nahe 
zu 30stündigen Artilleriekampf auf bulgarischer 
Seite jedes Geschütz durchschnittlich etwa 200 
Schuf) verfeuert haben soll. 
Die Bedeutung des Falles von Adria- 
nopel. 
Generalmajor z. D. Imhoff Pascha schätzte 
die Bedeutung des Falles von Adrianopel in 
einem in der „Voffischen Zeitung" veröffent 
lichten Artikel folgendermaßen ein: 
Die Vermutung, daß von der Verteidigung 
nach Erstürmung einzelner Merke der Vordost 
front noch in einer rückwärtigen Verteidigungs 
stellung ein nachhaltiger Miderstand geleistet 
werden könne, hat sich nicht verwirklicht; die 
Festung ist nach heldenmütiger Abwehr der bis 
herigen Angriffe dem planmäßigen, zielbewußten 
Ansturm des Belagerers zum Opfer gefallen 
und der tapfere Schükri Pascha war gezwungen, 
dem Oberbefehlshaber der Belagerungsarmee 
seinen Säbel zu übergeben. In einem aussichts 
losen Kampfe hat der Pascha mit dem weit 
überlegenen Gegner monatelang gerungen, seine 
Taten werden in der Geschichte unvergessen 
bleiben. Schneller als man erwartete, ist Adria 
nopel, das zweite plewna, gefallen, das Bei 
spiel der treuen Pflichterfüllung bleibt aber für 
die osmanische Armee für ewige Zeiten leuchtend 
bestehen und wird in Zukunft doch noch seine 
Früchte tragen; der Besiegte erleidet keinen 
Schaden an seiner Ehre, der Miderstand war 
bis zur Menschenmöglichkeit fortgesetzt. 
Fragt man nach den Gründen, welche den 
Erfolg des Angriffes sicherten, so kann man, 
nach den bislang vorliegenden Vachrichten, etwa 
das Vachstehende anführen. 
Die rund 38 Kilometer lange Befestigungs 
linie erfordert nach den heutigen Anschauungen eine 
bei weitem größere Zahl Besatzungsmannschaften, 
als Schükri Pascha zur Verfügung standen. 
Rechnet man noch so günstig, so standen höch 
stens 40.000 Mann für den Verteidiger zur 
Verfügung, die aber durch Verluste, Krank 
heiten, Kommandos, Depotverwaltungen usw. 
auf etwa 25.000 Mann herabgemindert sein 
werden. Damit kommen auf das Meter der 
Umfassung etwa J Vs Mann, eine Zahl, die 
nicht genügend erscheint und eine Ausscheidung 
von genügend starken Abschnittsreserven und 
einer schlagfähigen Hauptreserve wohl nicht er 
möglichte. Dabei muß man den aufreibenden 
Machdienst, die mangelnde Verpflegung und 
die stete Bereitschaft in Rechnung stellen, so 
daß es erklärlich wird, wenn an entscheidender 
Stelle die nötige Widerstandskraft nicht zutage 
getreten ist. Auf die aktive Mitwirkung bei den 
Operationen des türkischen Heeres mußte ja 
die Festung bereits früh gänzlich verzichten, da 
ihr die weitreichende machtvolle Artillerie und 
ein schlagfertiger Besatzungskern fehlte, der frei 
von aller Armierungsarbeit zur offensiven Ver 
wendung bereit gewesen wäre. 
Die Bedeutung des Falles von Adrianopel 
liegt für die Bulgaren darin, daß jetzt die Be 
lagerungsarmee zur anderweitigen Verwendung 
frei wird — mutstis mutandis vergleiche man 
diejenige des Prinzen Friedrich Karl nach der
	        
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