Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Der Hall von Mrianopel. 
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„Min", versetzte Schükri, verständnisvoll 
lächelnd. „Ich hatte kein Interesse, ihnen dies 
zu sagen, denn ich kannte nur eine verbündete 
Armee. Konnte ich ahnen, daß Mischen Bul 
garen und Serben Rivalität, Differenzen be 
stehen? Übrigens wäre es mir einerlei gewesen, 
ob ich mich Bulgaren oder Serben ergab. Tat 
sache ist, das) ich mich dem Obersten Marcholew 
ergeben habe. Die Serben begehen, wie ich 
glauben mus), bona fide, ihre Ansprüche auf 
den Augenblick, in welchem sie zu mir kamen. 
Ihre Anschauung ist irrig." 
Frage: „Es hieß hier, das) Exzellenz auf das 
Ersuchen Marcholews, den Säbel abzugeben, 
erwiderten, das) Sie keinen Säbel tragen?" 
Antwort: „Ich trug auch keinen Säbel, 
immer nur den Revolver, der bessere Dienste 
als der Säbel leisten kann." 
Frage: „Haben die serbischen Truppen der 
Festung arg zugesetzt?" 
Antwort: „Bei ihren Attacken nahmen sie 
einige der vorderen Stellungen; ihre Kanonade 
war oft sehr stark, aber wir wußten, das) der 
Zweck der war, uns zu irritieren. Mir wußten, 
daß die wirkliche Gefahr von Osten kam. Die 
Serben bewachten den Südsektor; sie waren 
also dort, wo eher demonstrativ zu manövrieren 
war. Doch weiß ich, daß die Serben dort, wo 
sie kämpften, tapfer waren." 
Frage: „Herrschte Disziplin in der Festung? 
Mie war die Verteidigung?" 
Schükri Pascha holte rasch eine Rümmer 
des „Temps" vom 10. April, welcher die Mel 
dung eines deutschen Blattes reproduziert, laut 
welcher Schükris Einfluß seit Kiamils Sturz 
geschwunden war und er sich, da sich eine jung 
türkische Osfizierspartei gebildet hatte, von dieser 
zurückzog und schließlich erklärte, man solle 
machen, was man wolle. In diesem Augenblick 
war es nicht der Gefangene Schükri Pascha, 
sondern der Held, der seine Soldaten liebt. 
Zornig sagte er: „Ich wollte ein Dementi 
schicken, aber ich habe es unterlassen. Diese 
Meldung ist vollständig erlogen. Meine Sol 
daten waren immer anhänglich; eine Spaltung 
gab es niemals. Mir haben immer fest zu 
sammengehalten." 
Frage: „Momit erklären Exzellenz den 
raschen Fall nach Beginn des Sturmes? Ist 
es wahr, das Exzellenz sich äußerten, gegen 
solche Belagerer könne niemand standhalten?" 
In großer Bewegung sagte Schükri Pascha: 
„Bitte, lassen Sie mich schweigen." 
Frage: „Mußten Exzellenz von Konstantinopel 
aus, daß in Kirkkiliffe Baba Eski, Bunar 
Hiffar und Lüle Burgas die türkische Armee 
geschlagen war? Maren Exzellenz immer mit 
Konstantinopel in Verbindung?" 
Antwort: „Gewiß, aber oft war der Appa 
rat so schwach, daß tagelang der Verkehr ab 
geschnitten war. Von den Schlachten erfuhr ich 
wohl, aber nie die Mahrheit." 
Seufzend fügte Schükri Pascha hinzu: „Rie- 
mand würde glauben, wie schwer wir alles vor 
bereiten mußten, wie oft es an den gewöhn 
lichen Utensilien fehlte. Es war eine Verteidi 
gung, wie sie die Meltgeschichte nicht kennt. 
Und erst der Waffenstillstand, der uns wohl 
nicht entmutigte, aber uns zwang, die kleinen 
Vorräte in Untätigkeit aufzuzehren. Mir sahen, 
wie mit Apfelsinen beladene Züge durch den 
Bahnhof von Adrianopel nach Tschataldscha 
rollten und unsere armen Soldaten bekamen 
2 Monate lang täglich 300 Gramm fast unge 
nießbares, ungesalzenes Brot, in letzter Zeit nur 
250 Gramm. Offiziell, in Wirklichkeit aber 
weniger." 
Frage: „Mie lange hätte die Festung noch 
widerstehen können?" 
Antwort: „Lebensmittel hatten wir noch 
für 3 Tage; die Bewohner der Stadt hatten 
aber gar nichts. Hausdurchsuchungen wurden 
angeordnet, alle entbehrlichen Viktualien wurden 
in die Festung geschafft. Feierlich erkläre ich 
aber, daß für die Ausländer und die Christen 
gesorgt war und nur die Muselmanen zu furcht 
baren Entbehrungen verdammt waren. In der 
letzten Zeit aßen die Stadtbewohner Fleisch der 
von uns erschossenen Pferde, aber immer noch 
hatten sie genießbares Brot. 
Mas half Käse ohne Salz, was halfen 
von Krankheiten ergriffene Schafherden? Alles 
litt an Dysenterie wegen Salzmangels. Zu 
letzt wurde in der Festung statt Salz das 
Maffer des Käses verwendet, für zur Hälfte 
mit Sand vermischtes Brot. Aber Munition 
hatten wir noch für 1 Jahr." 
Frage: „Ist es wahr, daß Exzellenz zuletzt 
an Ihren Soldaten verzweifelten?" 
Antwort: „Me habe ich etwas derartiges 
gesagt. Mas dürfte ich zu Soldaten sagen, welche 
monatelang kaum ein Drittel der gewöhnlichen 
Brotration genossen? Der Hunger hat uns in 
erster Linie besiegt. Ein erfolgreicher Mider- 
stand war schon deshalb ausgeschlossen, weil 
120.000 Bulgaren und 40.000 Serben mit 
weit mehr Geschützen als wir hatten, die 
Festung belagerten, deren Besatzung zuletzt kaum 
30.000 wehrfähige Männer zählte. Alle anderen 
waren krank oder verwundet." 
Frage: „Mann betraten Exzellenz die 
Festung?,. 
Antwort: „Ich war in Kotschana wegen 
einer Enquete 2 Monate gewesen. Eine böse 
Krankheit, Rotlauf, hatte ich kaum überstanden, 
als ich die Einberufung erhielt, sofort nach 
Adrianopel abzureisen. Mein Arzt aus Saloniki 
wollte mich aber nach Konstantinopel zur
	        
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