Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Der Kall von Ndrianopel. 
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kann von einer „Demonstration" überhaupt nicht 
die Rede sein; es handelte sich im Gegenteil 
um einen regelrechten Sturmangriff auf vorher 
genau bezeichnete Ziele. Mein Regiment, das 
20., hatte den Kasan-Tepe zu nehmen und 
machte sich in aller Frühe dorthin auf. Wir 
wurden sogleich von starkem Artilleriefeuer be 
grüßt und ich muß wiederholen, daß auf dieser 
Stelle der großen Anzahl türkischer Kanonen 
wegen das Feuer am heftigsten wütete. Das 
Regiment ging trotzdem in breiter Linie kräftig 
vor, machte alles mit dem Bajonett nieder und 
durchbrach die feindliche Infanterie. Rn unserem 
endgiltigen Siege war nicht mehr zu zweifeln 
und tatsächlich erschienen bald darauf weiße 
Fähnchen auf den Forts und ein Parlamentär 
Schükri Paschas näherte sich einem Offizier des 
20. serbischen Regiments mit dem ausdrücklichen 
Verlangen, mit dem Kommandanten der serbi 
schen Armee, General Stepan Stepanowitsch, 
der Übergabe wegen zu verhandeln. 
Obwohl nach dem Aufziehen der weißen 
Fahnen das Feuer eingestellt ward, drangen wir 
weiter vor. Die Richtung, welche ich zu ver 
folgen hatte, führte zu einer der zahlreichsten 
Befestigungen mit Ramen Hadirlük. Als ich 
bis an die Wälle herangekommen war, bemerkte 
ich auf der Mauer eine Gruppe türkischer Offi 
ziere. Ich gab meinem Bataillon Befehl zur 
Umstellung des Forts und näherte mich selbst 
den Offizieren. Einer von ihnen, ein Haupt- 
mann, löste sich von den anderen ab und kam 
auf mich zu. Ich redete ihn auf französisch an: 
„So ist es also endlich zu Endel Um so besser 
für Sie wie für unsl" „Für Sie wohl, aber 
nicht für uns", entgegnete er. In diesem Augen 
blick gewahrte ich drinnen im Fort eine große 
Anzahl Offiziere und fragte: „Wen haben Sie 
denn da?" „Das ist Schükri Pascha mit seinem 
ganzen Stabe", entgegnete der Hauptmann. Bis 
zu diesem Bescheid hatte ich nicht einmal ge 
ahnt, eine so hohe Persönlichkeit wie den Höchst 
kommandierenden Schükri Pascha und mit ihm 
seinen ganzen Stab gefangen genommen zu haben. 
„Ich muß unbedingtSeiner Exzellenz soschnell wie 
möglich vorgestellt werden. Bitte, führen Sie mich 
hinl" ersuchte ich sofort den Hauptmann. Der 
Offizier geleitete mich durch finstere Kasematten 
bis vor die Kanzlei Schükri Paschas. Sobald 
ich die Tür öffnete und. eintrat, erhoben sich 
Schükri und sein Stab von ihren Sitzen. Ich 
näherte mich ihm, grüßte militärisch und der 
Augenblick, den ich nie vergessen werde, gab 
mir die Worte ein: „Exzellenz, der serbische 
Major Milowan Gawrilowitsch hat die Ehre, 
Ihnen mitzuteilen, daß Sie sich jetzt unter dem 
Schuhe Serbiens befinden." Absichtlich vermied 
ich jeden schärferen Ausdruck und bat ihn so 
gleich, mit seinem gesamten Heere die aufrichtigste 
Bewunderung ganz Serbiens für die helden 
mütige Verteidigung Adrianopels entgegenzu 
nehmen. „Ich wußte, daß das serbische Volk 
tapfer und mutig ist, aber im jetzigen Kriege 
habe ich mich selbst davon überzeugt," entgeg 
nete Schükri Pascha augenscheinlich bewegt, 
stellte mich den übrigen Generalen vor und 
nötigte mich zum sitzen. Damit war der feierlichste 
Akt während der Eroberung Adrianopels be 
endigt. „Wünschen Sie Tabak" nötigte mich 
Schükri Pascha gleich darauf, „Sie müssen 
schon entschuldigen, daß ich Ihnen nichts ande 
res bieten kann," und bald war ein gleichgilti- 
ges Gespräch im Gange. General Aziz Pascha 
erzählte, er habe die Division, die gegen die 
serbische Timokdivision kämpfte, kommandiert. 
Bereits früher sei er einmal König Peter und 
seiner Familie vorgestellt worden. Er gab sich 
dabei als persönlichen Freund des Prinzen Arsen 
aus Rußland aus, er besonders dankte mir für 
die Anerkennung, die ich dem türkischen Heere 
zollte und fügte hinzu, daß er mir als Soldaten 
niemals das Schicksal wünsche, das es be 
troffen. 
Die Zeit verstrich und ich mußte die an 
regende Unterhaltung unterbrechen, indem ich 
Schükri Pascha bat, mich entfernen zu dürfen. 
Kaum war ich draußen, als ein bulgarischer 
Oberleutnant mir im Fort entgegenkam mit dem 
Bemerken, er sei gekommen, Schükri abzuholen. 
„Auf wessen Geheiß denn?" fragte ich. „Auf 
Anordnung des Generals Jwanowl" antwortete 
er. „Das stimmt. Alle Offiziere stehen unter dem 
Kommando des Generals Iwanow. Aber wer 
bürgt mir denn dafür, daß Sie überhaupt Offi 
zier sind? Ich verlange eine Beglaubigung und 
eine Ermächtigung, um Ihnen Schükri Pascha 
zu übergeben." Da ging er. Gleichzeitig kam 
mein Regimentskommandeur Ugrinowitsch, dem 
ich die Gefangennahme Schükri Paschas, sowie 
von 209 Offizieren gemeldet hatte. Mit ihm 
zusammen ging ich nochmals in die Kanzlei 
zurück, wo sich Ugrinowitsch Schükri Pascha vor 
stellte und einige Augenblicke im Gespräch mit 
ihm verweilte. Als wir hinaustraten, begegnete 
uns der zweite bulgarische Offizier, ein Haupt 
mann, der ebenfalls angab, mit der Überfüh 
rung Schükris beauftragt zu sein. Ich lenkte die 
Aufmerksamkeit des Regimentskommandeurs so 
gleich darauf, daß die Übergabe Schükris durch 
uns an die Bulgaren nicht auf diese Weise er 
folgen könne, sondern nur, wenn dieser Haupt 
mann eine schriftliche Ermächtigung des Gene 
rals Iwanow habe, Schükri Pascha mitzuneh 
men. „Daraus entstehen nur Schwierigkeiten," 
meinte der Bulgare. „Keineswegs," entgegnete 
ich. „Die Sache wird im Gegenteil dadurch 
bedeutend leichter und einfacher. Geben Sie 
uns die Ermächtigung, die wir verlangen und
	        
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