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Die Haltung Rußlands.
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hatte, ohne damit weder seiner Regierung, noch
Europa, noch auch Serbien selbst einen Dienst
geleistet zu haben.
Die französische Regierung hat in Belgrad
zur Mäßigung gemahnt und den serbischen
Staatsmännern die Überzeugung beigebracht,
daß sie durch zu weitgehende, die Interessen der
europäischen Großmächte verletzende Forderungen
ihre berechtigten Ansprüche schädigen würden.
Richt allein Österreich-Ungarn und Italien halten
ein autonomes, unabhängiges Albanien im Inter
esse ihrer Politik für erforderlich, auch Frank
reich, England und Rußland anerkennen den
Standpunkt, daß auch die Albanesen befreiungs
würdig sind und daß nicht zugelassen werden
könne, daß sie das Joch einfach wechseln.
Die Serben wollen
einen Ausgang an das
Meer, das werden sie
in irgendeiner Form be
kommen,- sie wollen ein
Stück Albanien, das
kann ihnen nicht gewährt
werden. Vor einigen
Tagen ist die Idee auf
getaucht, das unabhän
gige Albanien mit der
serbischen Hasenordnung
in Einklang zu bringen.
Albanien soll nicht ge
teilt werden, es soll durch
schnitten werden, indem
man den Serben einen
durch Albanien führen
den Streifen zuweist, der
die Verbindung Ser
biens mit dem neuen
Handelshafen an der
Adria herstellen soll.
Einen Korridor nennt
man dieses Stück in sehr
bescheidener Bezeichnung. Das ist ein Vermitt
lungsvorschlag, der, wie es scheint, von russischer
Seite ausgeht. Es ist gewiß gut gemeint, aber
nach der geographischen Lage praktisch undurch
führbar und selbst für Serbien mit großen Un
zukömmlichkeiten verbunden.
Die Überwachung dieses etwa 200 Kilometer
langen Streifens von beiden Seiten müßte eine
sehr strenge und kostspielige sein, soll Schmuggel
verhindert werden und dann ist es ungewiß, ob
das Terrain dieses Streifens einen Bahnbau
gestattet. Frankreich und Rußland werden bald
die Überzeugung gewinnen, daß dieser Vermitt-
lungsvorschlag zu keinem Ziele führt und daß
ein anderer Ausweg gesucht werden muß.
Die hiesige Regierung ist zur Überzeugung
gelangt, daß Österreich-Ungarn nicht darauf ab
zielt, Serbien wirtschaftlich zu ersticken. Der
ganze wirtschaftliche Aufschwung, dessen Serbien
sich erfreut, ist von Österreich-Ungarn mitbe
gründet worden. In hiesigen politischen Kreisen
hat heute eine zeitgemäße statistische Tatsache
einen gewissen Eindruck gemacht. Jm Jahre
1880 betrug das ganze Budget Serbiens nicht
ganz 20 Millionen, heute ist es bei 120 Mil
lionen angelangt und dies nach allen schweren
Krisen, die das Land durchmachen mußte: ein
unglücklicher Krieg, zweimaliger Thronwechsel
mit revolutionären Erschütterungen. Die fran
zösische Regierung sowie Rußland haben jetzt
die Überzeugung, daß Österreich-Ungarn die Ent
wicklung Serbiens mit wohlwollendem Interesse
unterstützen will. Das ist eine Basis für die
versöhnliche Aktion, welche die französische Re
gierung in Belgrad ge
führt hat und weiterhin
zu führen entschlossen ist.
Reutrale Stellung
Englands.
In einem bemerkens
werten Artikel betont
am 26. Rovember die
„Westminster Gazette",
deren Beziehungen zum
Auswärtigen Amt in
London bekannt sind,daß
in dem unglaublichen
Falle eines europäischen
Krieges wegen der ser
bischen Adriaansprüche
England nicht darein
verwickelt sein würde.
Bei aller über den Buch
staben hinausgehenden
Vertragstreue besteht für
England keine Verpflich
tung, sich in die natio
nalen Rivalitäten des Balkans hineinzustürzen
oder seine Unterstützung der einen oder der an
deren Gruppe zu verpfänden, wenn diese Gruppen
töricht genug sind, den österreichisch-serbischen
Konflikt sich ausbreiten zu lassen.
Englands Pflicht ist, heißt es in diesem
Artikel weiter, ehrlichen und uninteressierten Rat
zu geben und dabei zu bleiben, was immer
folgen mag. Wenn Serbien trotz dieses Rates
nicht nachläßt und einen Streit mit Österreich-
Ungarn riskiert, darf es nicht auf Englands
Unterstützung rechnen, und ebensowenig seine
Hintermänner, wenn es solche hat.
In dieser Äußerung des englischen Blattes
ist der Schlüssel für den Stimmungsumschwung
vor allem in Paris zu suchen. Es kann kein
Zweifel bestehen, daß Frankreich gerne bereit
gewesen wäre, Rußland in dem Versuche zu
Der griechische Delegierte General Danglis.