Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Die Einnahme von banina. 
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Balkankrieg. H. 
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hatten Füße bekommen und gingen in der Stadt 
spazieren: Kinder sahen mit ernsthafter, frühreifer 
Freude in die Flämmchen der dünnen, langen 
Wachskerzen in ihren fänden, Erwachsene 
hielten sie steifen Ganges feierlich vor sich hin. 
Und gar die Soldaten! Nicht einen sah ich 
ohne die Kerlchen und im Handumdrehen im 
provisierten sie so einen Fackelzug, der — unter 
Gesang und Iitorufen natürlich — sich wie eine 
schöne, flimmernde Niesenschlange durch die 
Gassen wand. Und von den Fenstern und Bal 
könen zeigten sich die wahrhaft rehenden Frauen 
dieser Stadt und sahen — ganz maßvoll 
Freude und heitere Würde — grüßend den 
Tausenden wandelnden Flämmchen nach, die 
zur platia zogen. Dort steckte man, was noch 
brannte, an den Handlaternen fest, die in 
solchem Lichterschmuck etwas wie deutsche Weih- 
nachtsstimmung in diese südliche Frühlingsnacht 
brachten. 
Und nun stimmen die Soldaten unter sich 
(das gemeinsame Tanzen der Geschlechter ist 
hier außerhalb Athens noch immer unbekannt) 
einen Neigen an. 20, 30 faßten sich an den 
Händen, einer stand in der Mitte und hob ein 
Lied an, in das die anderen einstimmten. Der 
erste im Neigen aber fungierte als Vortänzer 
im eigentlichen Sinn. In Wiegebewegungen 
und Drehungen, in Stampfschritten und Sprüngen 
nach dem Nhythmus des Liedes leisteten er 
und seine getreuen Nachahmer das möglichste 
— aber hier, wie immer, wenn ich Griechen 
diesen Bauerntanz tanzen sah, fiel mir auf, wie 
ruhig er wirkt — fast schwermütig, wenn man nicht 
so frohe, lachende Gesichter dabei sah, wie hier. 
Am Sonntag nach der Einnahme von 
Zanina war die Gedächtnisfeier für die Toten. 
Draußen vor der Stadt, auf einem mächtigen 
Komplex grüner Wiesen, den man das Polygon 
heißt, fand sie statt. Die meterhohen Asphodelen 
blühen, der Schönwettervogel schreit, die Sonne 
lacht wieder über Griechenland. Ach, wer ver 
möchte da so von ganzem Herzen traurig zu 
sein! Und wirklich, was da hinauszog auf 
staubiger Straße (zwischen Schaf- und Ziegen- 
herden, die mit ihrem drolligen jungen Wurf 
jetzt überall in Griechenland herumtrampeln) 
all diese flinken Mädchen und schlanken Bur 
schen, Soldaten und Bauern, Bürgersleute und 
Eseltreiber, das ging zuerst mit lachendem Mund 
und leichtem Schritt. 
Aber als man erst draußen war und das 
ganze übersehen konnte, die vielen, vielen 
schwarzen Kleider und Kopftücher zwischen all 
den bunten und die vergrämten Gesichter so 
vieler alter Mütterchen, die keine Sonne auf 
hellen konnte, da ward uns wohl allen das 
Herz schwer. Wie furchtbar ist der Krieg! 
Wir stehen ganz vorne, auf der einzigen 
für Geistlichkeit und Honoratioren bestimmten 
Tribüne. Denn griechische Gastfreundschaft 
duldet es nicht, daß die Fremden bescheiden in 
der Menge bleiben! Überall, wo es etwas zu 
sehen gibt, öffnet sich dem Fremden von selbst 
eine Gaffe, und auch hier hatte man uns so 
fort durch einen Offizier diese bevorzugten 
Plätze anbieten lassen. So können wir gut 
hinübersehen zu den in Neih und Glied auf 
gestellten Soldaten, zu den Verwundeten, ganz 
im Vordergrund, von denen mancher heut zum 
erstenmal das Bett verlassen hat, um die toten 
Kameraden zu ehren, deren Los er um Haares 
breite geteilt hätte. 
Wie muß das diesen Entronnenen ins 
Herz klingen, der Psalm, den der Stellvertreter 
des Bischofs neben uns anhebt: ..Errette mich, 
mein Gott, vor meinen Feinden ... du, Herr 
Gott Zebaoth, wache auf und suche heim alle 
Heiden ..." 
Kerzen flackern im klaren Sonnenlicht — 
die dünne Musik einer Knabenkapelle — An 
sprachen. 
Nicht dieser offizielle Teil, der sich in nichts 
von einer ähnlichen Feier in einer deutschen 
Provinzstadt unterschied, machte uns den tiefsten 
Eindruck. Aber wir sahen die Haltung der 
Menge, die die Tribüne umstand, und wir 
haben nachher mit vielen — Soldaten, Bauern, 
Kleinbürgern — gesprochen. Und war uns am 
Festabend von Zanina wieder aufgefallen, wie 
alle Freude in diesem Land durch einen gewissen 
feierlichen Ernst zu schönem Maß gedämpft 
wird, so mußten wir nun feststellen, daß hier 
in der Trauer auch dasselbe Maß erzielt wird 
— durch eine würdige, fast heitere Zuversicht. 
Selbst die, die den Blutzoll schon gezahlt haben, 
die Verwundeten, ja selbst die Mütterchen mit 
den gramvollen Gesichtern und den schwarzen 
Kleidern — sie sprachen von ihrem Leid mit 
einer gefaßten Nuhe, mit einer stillen Größe, 
die uns ..Europäern" die tiefste Ehrfurcht ab 
nötigte.
	        
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