Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Stimmung in Konstantinopel nach dem Wiederausbruch des Krieges. 
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jeder gewissenhafte Ieitungskorrespondent min 
destens einmal täglich vorsprechen soll. Eines 
Tages aber kam der Rosselenker nicht mehr, die 
Soldaten hatten ihm die beiden Braunen aus 
dem Stall geschleppt. Ruch das danke ich den 
Bulgaren. Hätten sie gehalten, was sie verspro 
chen haben, wäre mir die Fahrgelegenheit wenig 
stens erhalten geblieben. Unter diesen Umständen 
blieb mir also nichts anderes übrig, als mich 
mit türkischer Schicksalsergebenheit in das Un 
vermeidliche zu fügen und die Gummischuhe 
wieder hervorzuholen. Seitdem klettere ich also 
den steilen Weg hinan, der mich rechts von der 
deutschen Botschaft auf den Boulevard von 
Ayas-Pascha führt, und ziehe von dort meine 
Straße weiter. Das geschieht in diesen stillen 
Zeiten besonders an posttagen, so gegen halb 
12 Uhr vormittags, wenn ich mich von meinem 
Fenster davon überzeugt habe, das) der rumäni 
sche Dampfer „Beyler-Bey" in Sicht ist. Das 
einzig Wissenswerte in diesen nachrichtenlosen 
Tagen ist ja, ob der Dampfer zur rechten Zeit 
ankommt oder mit Verspätung, denn er spielt 
eine zu große Rolle in unserem bescheidenen 
Leben, als das) man sich nicht um sein Schick 
sal kümmern müßte. Rach seiner Ankunft richtet 
sich unsere Zeiteinteilung wenigstens dreimal in 
der Woche. Vorsichtige Leute pflegen sich bei 
der Post über die Ankunft zu unterrichten und 
oft hat der Postbeamte weiter nichts anderes 
zu tun, als all den Reugierigen Frage und 
Antwort zu stehen. Mehr jedoch als die Schalter 
beamten bemitleide ich den Postdirektor, der nicht 
einmal in Ruhe sein Mittagmahl im Klub ein 
nehmen kann. Von allen Seiten wird er ge 
fragt: „Wann kommt der Dampfer?" und „Ist 
das Telegramm schon da?" oder „Wieviel 
Stunden Verspätung hat er?" Kann er ant 
worten, ist es gut, wenn nicht, darf er lächelnd 
die Frager an den Telegraphendirektor verweisen, 
und ist dieser nicht erschienen, dann weiß man, 
daß die Post nicht vor 4 Uhr nachmittags ver 
teilt wird. In diesem Falle hat ein pflicht 
bewußter Ieitungskorrespondent genügend Zeit, 
sich nach Stambul hinüber zu begeben, um in 
dem oben genannten Auskunftsbureau im Kriegs 
ministerium vorzusprechen. Dieses Bureau ist 
eine der besten Einrichtungen des jungtürkischen 
Regimes. Da keine Berichterstatter in die Front 
gelassen werden, hat man eine aus einem Major, 
einem Rittmeister und einem Leutnant zusammen 
gesetzte Kommission ernannt, deren Aufgabe es 
wäre, in den Rachmittagsstunden zwischen 2 und 
3 Uhr den Besuchern, Militärattaches und 
Korrespondenten, Auskünfte zu erteilen über die 
vom Kriegsschauplatz eingetroffenen Rachrichten. 
Wie interessant diese Auskünfte zuweilen aus 
fallen, insofern man überhaupt zur festgesetzten 
Zeit jemand in diesem Bureau trifft, mag eine 
kurze Beschreibung dieser kostbaren Einrichtung 
zeigen. Die Auskunftserteilung besteht nämlich 
darin, daß man den Besucher erst eine halbe 
Stunde warten läßt, daß dann der Offizier er 
scheint und feststellt, daß eigentlich nicht er, son 
dern der Major Auskünfte zu erteilen habe, der 
übrigens in einer halben Stunde sicher erscheinen 
werde, daß besagter Major während dieser Zeit 
und auch später nicht erscheint, der Leutnant, 
durch ein mehrmaliges Räuspern des Besuchers 
auf den Gegenstand seines Anliegens aufmerk 
sam gemacht, das Zimmer verläßt und mit einem 
Zettel wiederkehrt, von dem er jedesmal dieselbe 
wichtige Rachricht abliest: „In Bulair nichts 
Reues; bei Tschataldscha ist die Lage, unver 
ändert; von Adrianopel sind keine Rachrichten 
eingetroffen." Mit diesen interessanten Infor 
mationen darf dann der Berichterstatter abziehen 
und er kann gewiß sein, daß ihm die Zensur 
keinerlei Schwierigkeiten bei Beförderung seines 
Telegrammes bereitet. Ist er jedoch von der 
Wichtigkeit dieser Rachrichten nicht ganz über 
zeugt, wandert er zu Tokatlian zurück, denn 
hier ist noch der Ort, wo der vom Kampfplatz 
ferngehaltene Korrespondent die Kanonen donnern 
hören und die Schrapnells platzen sehen kann. 
Die Erzählungen der jungen Offiziere, die bis 
nach Gallipoli kamen und dann wieder nach 
Hause geschickt wurden, könnten ihn zu den 
schönsten Schlachtberichten anfeuern. Oder sollte 
vielleicht der Bericht von einer Rattenjagd in 
der Kabine des Dampfers mit allen seinen Ein 
zelheiten nicht zu einer Schilderung des Kampfes 
bei Bulair, von eroberten Forts, anregen, und 
der Held, der von der Ratte gebissen wurde, 
nicht in der Phantasie des Korrespondenten die 
Züge des Freiheitshelden Enver Bey annehmen, 
der verwundet bei Gallipoli sich ins Meer wirft, 
bei Rodosto wieder aus den Fluten auftaucht, 
eine Landung vornimmt und zugleich in Kon 
stantinopel die Pforte für die in Aussicht ste 
hende Gegenrevolution der Opposition bewacht? 
Man wußte also in Konstantinopel wenig 
Authentisches über die Kämpfe bei Bulair und 
Tschataldscha; Kriegskorrespondenten wurden nicht 
an die Front gelassen, und so existieren nur sehr 
spärliche Berichte, die ein Bild dieser Gefechte 
mit ihrem wechselnden Kriegsglück geben können.
	        
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