Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Der Wiederbeginn der Kämpfe auf dem östlichen Kriegsschauplatz. 
Oll 
Kampfes ist nicht klar, da jeder Teil sich den 
Sieg zuschreibt. Den türkischen Meldungen zu 
folge hätten die türkischen Truppen einen An 
griff auf die in den Verschanzungen liegenden 
Bulgaren unternommen. Der Kampf dürfte an 
fangs für die Türken günstig gewesen sein, 
doch wendete sich das Blatt, als die Bulgaren 
Verstärkungen erhielten. Die bulgarischen Unter 
stützungen rückten in Eilmärschen heran und 
kamen nach der bulgarischen Darstellung noch 
rechtzeitig an, um ihre bedrängten Kameraden 
zu degagieren. Die Türken wollen anderseits 
einen freiwilligen Rückzug angetreten haben. 
Man gewann jedenfalls aus den Meldungen 
den Eindruck, daß bei diesem Gefechte nicht die 
gesamte auf Gallipoli stehende türkische Streit 
macht, wie die Bulgaren behaupteten, sondern 
nur Teile engagiert waren. Auch wenn es sich 
bestätigte, daß mit dem Rückzug der Türken die 
ganze Küste des Marmarameeres in die Hände 
der Bulgaren geriet, so konnte das militärisch 
nicht viel bedeuten, denn die Bulgaren waren 
schon seit Ende Rovember im Besitze des 
größten Teiles dieser Küste. 
Der Kommandant der auf Gallipoli stehen 
den türkischen Streitkräfte erhielt vom Ober 
kommando der Armee den Auftrag, die Halb 
insel Gallipoli und die Dardanellen zu ver 
teidigen. Seine Hauptstellung liegt bei Bulair, 
12 Kilometer vom Kawak Deresi, wo der 
Kampf stattfand, entfernt. Wenn er nun aus 
dieser Stellung Offensivstöße unternimmt, so be 
folgt er nur die elementarsten Grundsätze der 
Defensive. Fahri Pascha, der dort befehligen 
soll, gilt als ein sehr tüchtiger und energi 
scher General. Cr scheint das Beispiel Schickn 
Paschas, des Verteidigers von Adrianopel, und 
Hassan Riza Beys, des Kommandanten von 
Skutari, die einer aktiv geführten Verteidigung 
schöne Erfolge zu verdanken hatten, befolgen 
zu wollen. 
Was nun die Meldung von dem erfolg 
reichen Vorstoß Enver Beys anlangt, so konnte 
ihr nicht viel Glauben beigemessen werden. 
Man muß sich vergegenwärtigen, daß die 150.000 
Mann der bulgarischen Armee nicht auf einen 
Fleck vor Tschataldscha standen, sondern nach 
der Tiefe, also nach Westen gruppiert waren. 
Sie gliederten sich in eine unmittelbar den 
türkischen Truppen gegenüberstehende Gruppe 
und in dahinter liegende Reserven, die bis über 
Tscherkesköj hinausreichten. Daß die Bulgaren 
der Küste des Marmarameeres ein besonderes 
Augenmerk schenkten und sie durch Kavallerie 
überwachen ließen, das muß wohl als sicher 
angenommen werden. Daraus wäre zu schließen, 
daß die Truppen Enver Beys nicht unbemerkt 
landen konnten, um so mehr, als 20.000 Mann 
nicht wie Bleisoldaten ans Land gesetzt werden 
könnten, und es sehr umfangreicher Vorbe 
reitungen und geraumer Zeit bedürft hätte, um 
eine solche Menschenmenge aus den Transport 
schiffen an die Küste zu bringen. Allerdings 
standen beim Wiederbeginn der Kämpfe im 
Lager von Ismid etwa 45.000 Mann neuer 
türkischer Truppen und es mußte wohl die Ab 
sicht bestehen, sie auf dem möglich kützesten 
Wege an den Kriegsschauplatz zu bringen. 
Am notwendigsten waren sie jedenfalls auf der 
Halbinsel Gallipoli, wo die Türken sich vom 
Anfang an in einer ziemlich schwachen Position 
befanden. 
Die Halbinsel Gallipoli, der nördliche Vor 
pfeiler der Dardanellen, erstreckt sich vom Saros- 
golf in südwestlicher Richtung in einer Länge 
von 75 Kilometern bis zum Kap Helles. Sie 
ist von Gebirgszügen durchzogen, die größten 
teils steil vom Meere aus aufsteigen und an 
mehreren Stellen eine höhe von 300 bis 400 
Meter erreichen. Mehrere kleine Flüßchen, deren 
Quellen nahe an der Rordküste liegen, durch 
queren in südöstlicher Richtung das Land. In 
den Flußtälern sind kleinere Waldungen, wäh 
rend die höhen teils kahl, teils mit Mastix- 
Wacholder- und Latschengestrüpp von selten 
über Manneshöhe bestanden sind. Sumpfbil 
dungen von größerer Ausdehnung kommen 
nicht vor. An einzelnen Stellen gibt es sogar 
Bäche, die nicht bis ans Meer gelangen, son 
dern früher verschwinden, da sie unter der Glut 
des mittelländischen Sommers versiegen. Rur 
ein einziger größerer Wasserlauf, der Kurtumus- 
Dere mündet an der Rordseite der Halbinsel. 
Dort befindet sich eine kleine Bucht, welche für 
Truppenlandungen ziemlich günstige Verhältnisse 
bietet. Eine zweite Landungsstelle bietet die 
Suvlabai, etwa 30 Kilometer nördlich vom Kap 
Helles. 
Zu Lande war die hauptverteidigungsstel- 
lung für die Türken durch die Ratur gegeben. 
Sie lag etwas südwestlich von der Ortschaft 
Bulair, an der schmälsten Stelle der Halbinsel. 
Dort zieht sich eine ungefähr 8 Kilometer lange 
Befestigungslinie hin, welche im Krimkrieg von 
den Engländern und Franzosen errichtet wurde 
und von einem etwa 180 Meter hohen Fort 
gekrönt ist. Dort befand sich auch die Haupt 
stellung der Türken. An der Seefront der Dar 
danellen zieht sich eine Reihe teils alter, teils 
neuer Befestigungen und Batterien hin, welche 
dazu bestimmt sind, einem von der Seeseite 
angreifenden Gegner den Eingang in die Dar 
danellen zu verwehren. So stark sie aber gegen 
die Seeseite sein mochten, so konnten ihre Ver 
teidigungsanlagen gegen Land nur als ziemlich 
mittelmäßig bezeichnet werden,- sie waren ja 
unter der Voraussetzung angelegt, daß die tür 
kische Armee einen Angriff vom Lande aus
	        
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