Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Der Miederausbruch des Krieges. 
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wagte, wurde in Monastir niedergeschossen, aber 
Schükri Pascha kannten sie alle. Sie wußten, 
daß er kein Hofgünstling, daß er ein aufrechter, 
offener Mann war, und sie liebten ihn und 
achteten ihn darum. Trotzdem konnte er den 
Nusbruch der Revolution nicht hindern, aber 
als er die elementare Kraft sah, mit der sie 
aus den albanesischen Bergen niederbrach, riet 
er dem Sultan, die Verfassung wieder herzu- 
stellen. Und auf Schükri Paschas Rat fügte sich 
der Tyrann Abdul Hamid dem Millen seiner 
Völker. 
Aber Schükris Schicksal war es, mit Un 
dank belohnt zu werden. Die Iungtürken, denen 
er durch seinen Rat den Meg zu ihrem Ziele 
freigemacht, vergehen es ihm nicht, daß er die 
Disziplinlosigkeiten, die sich die jungtürkischen 
Offiziere zuschulden kommen ließen, mit ge 
wohnter Strenge bestrafte. „Die Freiheit ist 
gewonnen, aber die Armee ist verlorenl" — 
in diesen Kassandraruf brach er damals bei 
einer Gelegenheit aus, und wenn ja ein Prophet, 
so hat Schükri Pascha Recht behalten. 
Run wußten sie nicht recht, was sie mit 
diesem Mann, der mit einer so unangenehmen 
Eigenschaft, der Mahrheitsliebe behaftet war, 
anfangen sollten. Man beschloß, ihn nach 
Tripolis als Gouverneur zu schicken; er lehnte 
ab. „Ich war noch nicht einmal Mudir, wie 
soll ich als Gouverneur etwas taugen; ich lege 
meinen Bart nicht in die Hände des Defterdars 
und des Mektubijeh" (des Rechnungsrates und 
des Sekretärs). Das war seine Antwort, als 
man ihn zum Mali machen wollte. Man 
ernannte ihn zum Kommandanten des 9. Korps 
in Erzerum, aber ehe er noch die Reise dorthin 
antrat, machte man ihn zum Kommandanten 
und Generalinspektor der -.Landwehr in Kon 
stantinopel. Hier befand er sich zu Ausbruch des 
Krieges, und nun endlich entschloß man sich, 
diesen Mann an die richtige Stelle zu schicken. 
Man ernannte ihn zum Kommandanten von 
Adrianopel. 5 Tage vor der Kriegserklärung traf 
er hier ein. 5 kurze Tage hatte er, um die 
Festung für den langen Verteidigungskampf in 
Stand zu setzen. Und heute hält sie stand! 
Als der Schreiber dieser Zeilen im Oktober 
und Rovember des vorigen Jahres in Adria 
nopel war, hatte er Gelegenheit genug, die 
rastlose Energie Schükris kennen zu lernen. 
Kein Tag verging, an dem er nicht seine 
Truppen gegen den immer enger sich schließen 
den Ring der Belagerer jagte, wenig Tage, an 
denen er diesen nicht durch seine wütenden Aus 
fälle das Leben sehr sauer machte. 
Er kämpft auf einem verlorenen Posten. 
Kämpft heute nur noch pour d’honneur du 
drapeau. Es ist leichter, an der Spitze einer 
siegreichen Armee zu stehen, als in einer Festung 
eingesperrt zu sitzen, deren endliches Schicksal 
aller Mut, alle Kraft doch nicht aufhalten 
können. Um so größer muß die Bewunderung 
für diesen Mann sein, der, dieses Schicksal vor 
Augen, sich mit täglich wachsender Energie da 
gegen wehrt. 
„Mir werden ihn ehren, wie noch kein 
General geehrt wurde," sagten die bulgarischen 
Offiziere vor Adrianopel. Und damit werden 
sich die Bulgaren nur selber ehren, denn eine 
Ehre ist es für jeden Soldaten, einen Feind 
niederzuringen, wie Schükri Pascha einer ist. 
* , * 
* 
Augenblicklich war indes noch gar nicht 
daran zu denken, daß Adrianopel sich ergeben 
würde. Schükri Pascha gedachte die Festung zu 
halten, so lange das irgend möglich war. Als 
der Kommandant vor dem Miederausbruch des 
Krieges vernommen hatte, daß die Regierung 
Kiamil Paschas daran dachte, Adrianopel an 
die Bulgaren abzutreten, sandte er folgende 
drahtlose Depesche nach Konstantinopel: 
Es gibt in der türkischen Geschichte keinen 
General, der so feig gewesen wäre, eine der 
stärksten Festungen der Melt, wie die unselige, 
einem so blutdürstigen, grausamen Feinde frei 
willig auszuliefern. Es soll nicht heißen, daß 
ich einer solchen Feigheit schuldig wurde. Lieber 
werde ich unsere Truppen bis zum letzten Mann 
opfern und den letzten Schuß meines Revolvers 
für mich aufsparen. Menn ich sehen sollte, daß 
ein weiterer Miderstand unmöglich ist, würde 
ich dafür sorgen, daß die 40.000 hier befind 
lichen Bulgaren beseitigt werden. Die Frauen, 
Kinder und Kranken würde ich dem Schutze der 
fremden Konsuln anvertrauen und jeder Frau 
usw. zugleich ein weißes Tuch (türkischer 
Doppelsinn: neutrales Zeichen, oder Leichentuch) 
mitgeben. Ich würde es dann den Konsuln 
überlassen, auch diese Schützlinge ebenso ab 
schlachten zu lassen, wie die Bulgaren es unter 
ihren „zivilisierten" Augen mit unseren Frauen 
getan haben. Dann werde ich meine Kanonen 
auf alle Bulgaren, auf alle schönen Gebäude 
richten, welche den Schmuck dieser teueren 
Stadt bilden, und werde sie mit Feuer und 
Schwert in einen riesigen Schutthaufen ver 
wandeln. Und meine braven Soldaten werden 
zwischen dem Feuer im Innern und dem Tode 
draußen die feindlichen Linien, auch wenn diese 
nach Millionen zählten, durchbrechen und ent 
weder ehrenvoll sterben, oder diese Ruinen sieg 
reich verlassen. Gez. Schükri. 
Dieses von den jungtürkischen Blättern in 
Konstantinopel veröffentlichte Telegramm des 
Verteidigers von Adrianopel kennzeichnet den 
Mann außerordentlich scharf: er war imstande, 
den Krieg auf eigene Faust fortzuführen und sich
	        
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