Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Der Wiederausbruch des Krieges. 
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Heimatdörfer wiedersehen. Heute Abend 7 Uhr 
läuft die viertägige Frist ab; von 7 Uhr ab 
befinden sich Bulgaren und Türken wieder im 
Kriegszustand. Und wer weis) dann, wann er 
enden wird . . . Aber diese Fragen scheinen 
für unsere Leute von keiner Bedeutung. Sie 
beobachten sachverständig den Zustand der Acker, 
loben die vielen Anpflanzungen von Maulbeer 
bäumen in der Gegend Mischen dem Agäischen 
Meere und der Adrianopler Ebene und begut 
achten die Ochsengespanne griechischer und bul 
garischer Bauern, die in der sich gleich bleiben 
den bedächtigen Eile vorübergehen. Bei einem 
Halt entsteht Gedränge um 2 solcher Gespanne; 
rot, dick und lachend sitzt ein junger Grieche 
in türkischer Uniform auf einem der Wagen 
und erzählt eine lange griechische Geschichte. 
Viele Bulgaren verstehen griechisch und lau 
schen aufmerksam. Der Grieche kommt frisch 
von Adrianopel, von wo er entlaufen ist. 
Elend sieht er nicht aus, obgleich er erzählt, 
daß seit einigen Tagen die Brotgaben auf die 
Hälfte herabgesetzt sind. Man kennt alle die 
Adrianopler Geschichten schon, aber hört sie 
immer noch gern. Veu ist, das), wenn der Grieche 
richtig gesehen hat, die Türken in der belagerten 
Stadt nur noch eine Abteilung Feldartillerie 
bespannt haben. Die anderen Pferde seien ver 
schwunden. Der Grieche sagt auch, daß man den 
christlichen Soldaten die Waffen abgenommen 
hat und die Christen nur noch zu Arbeiten ver 
wendet; ihre Zahl soll in Adrianopel über 
12.000 betragen haben. Lachend fährt der 
Grieche weiter; die Bulgaren winken ihm heiter 
nach. So geht es fort, vorüber an verbrannten 
Dörfern ohne ein lebendes Wesen, bald liegt 
dort eine Moschee in Trümmern, bald eine 
Kirche. Die regelmäßigen Pflanzungen der Maul 
beerbäume zeigen an, das) hinter diesen rauch 
geschwärzten Mauern ein fleißiges Volk gewohnt 
hat. Wo sind sie hin? Der laue Frühlingswind 
bewegt leise die kahlen Aste, die Spatzen zanken 
in den leeren Straßen. Hier in dieser Viederung 
der Maritza haben Kämpfe zwischen der Abtei 
lung des Obersten Tanew, der mazedonischen 
Freiwilligendivision des Generals Genew und 
den türkischen Truppen unter Zaver Pascha 
stattgefunden. Man wird noch lange die Spuren 
sehen. 
Vachmittag. — Dimotika. Hier ist jetzt das 
große Hauptquartier der bulgarischen Heere; 
General Sawow, der stellvertretende Ober 
kommandierende, General Fitchew, der Chef des 
Stabes, und Oberst Veresow, der Gehilfe des 
Stabschefs, sind die Hauptpersonen. Wir wer 
den sie sehen und in diesem für Bulgariens 
Geschick so bedeutungsvollen Augenblick sprechen. 
Wir werden sie an der Arbeit beobachten, den 
Webstuhl einer großen Zeit sausen hören. 
Dimotika mag einst ein anmutiger Ort ge 
wesen sein, als die alte Burg sich über einer 
kleinen, aber sauberen Siedlung erhob, Wäl 
der die umgebenden Höhen umkränzten und der 
Blick über weiße Griechendörfer schweifte. Heute, 
nach den Jahrhunderten türkischer Herrschaft, 
ist Dimotika durch die Regelmäßigkeit und Un 
sauberkeit seiner Straßen berühmt, was im 
Orient wirklich etwas bedeutet. Viedrig und 
düster schauen schiefe Holzhäuser in die naßkalte 
Welt. Die gut gebaute Moschee weist Spuren 
schlechter Behandlung der letzten Zeit auf. Es 
würde den Ruhm der bulgarischen Waffen nicht 
beeinträchtigt haben, wenn mit größerer Strenge 
der Übereifer der christlichen Kreuzfahrer gezü 
gelt worden wäre. Die Türken sind fort, weit 
fort, und ihre vereinsamten Tempel zerfallen 
unter christlicher Vachhilfe. Griechen und Juden 
spanischer Abkunft, aber ohne Spaniens Ge 
messenheit und Würde, füllen das Städtchen. 
Sie sehen mit etwas Bedrängnis auf die kerni 
gen Gestalten bulgarischer Landsturmmänner, die 
auch ohne Branntwein zukunftssicher auf breiter 
Sohle stehen. Manch einer von der Bevölkerung 
wird auch hier seinen Ranzen packen und ein 
milderes Geschäftsklima aufsuchen. Bulgarische 
Gründlichkeit wird die ganze seit J 00 Zähren 
verschlafene Stadt zerstören müssen und auf den 
Trümmern neues bauen. Wenn heute ein 
Theatermaler die Straßen Dimotikas im Stil 
des Hintergrundes einer Szene darstellen sollte, 
so würde das Bild immer schöner werden als 
die Wirklichkeit, deren trostlose Häßlichkeit durch 
keine Kunst erreicht werden kann. In den Häu 
sern riecht es nach Hühnerstall und Lavendel, 
nach Holzrauch und grüner Seife, alles mit 
Jucker aus Armenhäusern und Kinderstuben be 
streut und zu einem Duft widerlicher Süße 
vereinigt, der auch erfahrene Vasen verblüfft. 
Schwerlich werden die bulgarischen Heer 
führer im Frieden zu ihrem Vergnügen nach 
Dimotika reisen. Der Krieg nimmt auf solche 
Kleinigkeiten keine Rücksicht. Der Stab des 
Heeres hat den türkischen Konak, das Gebäude 
der Regierung, besetzt. Oberst Veresow, der 
arbeitsame Gehilfe des Stabschefs, ist ein leicht 
ergrauender Mann gesunder Fülle, mit etwas 
sorgenvollem Gesichtsausdruck, aber freien, ge 
wandten Bewegungen. Er ist gleich seinem 
Chef in Italien ausgebildet und kennt alle 
Heere Europas aus ihren Manövern. Ordnung 
herrscht in dem großen hellen Zimmer, wenig 
Papiere auf dem Schreibtisch, ruhig, in klaren 
Sätzen spricht der Oberst von den Dingen, die 
heute die Welt bewegen; in der Abendsonne 
huscht der Schatten des Kopfes über die große 
Karte des Kriegsschauplatzes an der Wand. Es 
ist kurz vor 7 Uhr; der Augenblick des Be 
ginnes des zweiten Abschnittes des Krieges rückt
	        
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