Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die internationale Lage vor Miederausbruch des Krieges. 
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der Stadt Silistria selbst, sondern nur jene der 
diese Festung beherrschenden Höhen, die, südlich 
von derselben gelegen, gegen ausdrückliche Be 
stimmung des Berliner Vertrages von den 
Bulgaren befestigt worden waren, verlange; 
ferner wolle Rumänien die Zusicherung der 
Schleifung der Festungswerke Silistrias. Hier 
durch würde Rumänien erhielt haben, daß es 
die seine Besitzungen in der Dobrudscha stets 
bedrohende Festung Silistria in eine ungefähr 
liche Donaustadt verwandelt gesehen hätte, die 
allerdings im Besitze Bulgariens verblieb, aber 
durch die Abtretung des größten und stärksten, 
auf einer Höhe von 118 Meter gelegenen 
Forts Medschidijeh Tabieh, sowie der beiden 
benachbarten Forts Ordu Tabieh, das 65 Meter 
hoch liegt, während die Stadt Silistria an der 
Donau nur eine Höhe von 13 Meter über dem 
Spiegel des Schwarten Meeres hat und des 
westlichen Forts Kütschük Mustafia Tabieh 
diese Stadt vollkommen beherrschen konnte, und 
zwar um so mehr, als Rumänien seit 1880 das im 
Osten von Silistria gelegene Fort Arab Tabieh, 
welches die Stadt ebenfalls beherrscht, bereits 
besaß. Ferner verlangte nach dieser bulgarischen 
Tuelle Rumänien noch einen Gebietsstreifen 
bis zum Schwarten Meere, ohne daß die Aus 
dehnung näher angegeben wurde. 
Viel umfassender und präciser waren aber 
nach Bukarester Angaben die Forderungen 
Rumäniens. Danach beanspruchte dieses nicht 
bloß die Abtretung Silistrias mit allen Forts, 
sondern noch ein bedeutendes Gebiet westlich 
von der Stadt an der Donau bis zur kleinen 
Donaufestung Turtukan oder Tutrakan, auch 
Turtukaja genannt, welche nur 60 Kilometer 
von Bukarest entfernt ist. Von hier sollte eine 
ziemlich gerade Linie bis 20 Kilometer nördlich 
von dem bulgarischen Haupthafen Varna am 
Schwarten Meere führen. Dadurch wäre der 
einzige bedeutendere Ort dieses menschenleeren 
Gebietes, die bulgarische Kreisstadt Dobric, die 
in der Türkenzeit Hadschi Oglu pasardschik 
hieß, sowie die Hafenorte Kavarna und Bal- 
tschik an Rumänien gefallen. 3m Rorden von 
Varna wäre nur der bekannte schöne Sitz des 
Königs Ferdinand, Euxinograd, am Schwarten 
Meere bei Bulgarien geblieben. 
über diese Forderungen schrieb damals 
Dr. v. Le Monnier: 
Der Gewinn, der bei dieser Grenzberichtigung 
Rumänien zufiele, wäre die bedeutende Er 
weiterung der Dobrudscha, des heutigen 
Schmerzenskindes Rumäniens, zu einer großen, 
lebensfähigen Provinz und deren Sicherung 
gegen bulgarische Aspirationen. Denn es mußte 
nicht wenig überraschen, daß vor kurzem in 
Sofia eine offizielle, vom bulgarischen General- 
stab herausgegebene Karte erschien, auf der die 
Dobrudscha als ein Teil Bulgariens eingezeichnet 
war. Auf eine Reklamation Rumäniens hat 
der Ministerpräsident Bulgariens auf den Kriegs 
minister eingewirkt, damit diese Karte aus dem 
Verkehr gezogen werde. Es ist begreiflich, daß 
Rumänien in diesem Punkte sehr empfindlich 
ist. Bekanntlich ist die Dobrudscha ein minder 
wertiger Ersatz für den Anteil an Bessarabien, 
welchen Rumänien seit dem pariser Frieden 
besaß, aber im Berliner Frieden 1878 an Ruß 
land wieder abtreten mußte. Es war dies wohl 
keine vollwertige Belohnung Rumäniens für 
die Dienste, die es im russisch-türkischen Kriege 
durch die geschickte Führung König Carols und 
die Tapferkeit seiner Truppen den Russen leistete, 
die ohne diese Hilfe kaum jemals in den Be 
sitz des so lange belagerten plewna gekommen 
wären. Die Dobrudscha ist ein wasserarmes, 
wenig fruchtbares Gebirgs- und Steppenland 
am rechten Ufer der Donau, die dadurch ge 
zwungen ist, ihren nach Osten gerichteten Lauf 
nach Rorden abzulenken. Der größte Teil 
des Landes ist 100 bis 200 Meter hohes Löß 
plateau, das in steilen Rändern sowohl zur 
Donau als auch zum Schwarten Meere abfällt. 
Trotz dieser ungünstigen Bodenbeschaffenheit 
war die Dobrudscha stets ein strategisch sehr 
wichtiges Land, indem es die Durchzugs- 
straße aller von Rorden kommenden Invasionen 
gegen Konstantinopel bildete. Deshalb hat schon 
der große römische Kaiser Trajan hier einen 
von der Donau bis zum Schwarten Meer 
reichenden Wall angelegt, von dem heute noch 
Überreste in der Gegend Mischen Czernavoda 
und Küstendsche zu sehen sind, um die Barbaren 
völker vor dem Eindringen in die römischen 
Provinzen abzuhalten. Diesen Weg nahmen 
auch die Russen auf ihrem berühmten Zuge 
gegen Adrianopel im Jahre 1629 und später 
im Jahre 1854. 
Die Türken, welche die Dobrudscha als 
Schutzwehr gegen die Einfälle der Russen be 
trachteten und sie von 1396 bis 1378 in Besitz 
hatten, siedelten hier die aus dem Kaukasus 
geflüchteten Tscherkeffen und Tataren aus der 
Krim an. Auch 10 Dörfer deutscher Kolonisten 
gibt es, welche vor den Russisizierungsbestrebungen 
in Südrußland hierher ausgewandert sind. Diese 
günstige strategische Position der Dobrudscha, 
welche noch dadurch gewann, daß das Donau 
ufer derselben viel höher liegt, als das flache 
gegenüberliegende rumänische Gebiet, das daher 
von dortaus leicht beschossen werden kann, ver 
stärkten die Türken noch durch die Erbauung 
ihres berühmten Festungsvierecks, bestehend aus 
den bedeutenden Festungen Rustschuk und Silistria 
an der Donau, Schumla im Innern Bulgariens 
und Varna am Schwarzen Meere. Innerhalb 
dieses Vierecks versammelten die Türken ihre
	        
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