Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Die internationale Lage vor Mederausbruch des Krieges. 
'je europäischen Großmächte hatten sich, 
wie wir gesehen haben, mit Ach und 
Krach und nach vielem Wenn und 
Mer auf eine gemeinsame Kund 
gebung in Konstantinopel geeinigt und die offi 
ziösen Organe der einzelnen Regierungen haben 
viel Wesens aus dieser Einigkeit der Mächte 
gemacht. Heute wissen wir, wie es in Wirklich 
keit um diese Einigkeit bestellt war: an der 
österreichisch-russischen Grenze lagen Armeen, 
bereit, auf das gegebene Zeichen gegeneinander 
)u marschieren. In Frankreich rumorte es und 
die Revanchepolitiker hielten ihre Zeit für ge 
kommen, glaubten in Bälde gegen Berlin ziehen 
zu können. In den Kabinetten des Dreibundes 
herrschte zwar Einigkeit, aber es waren auch 
da verschiedene Dinge, die zu denken gaben. 
Zwischen Deutschland und Österreich bestand 
noch das beste Einvernehmen, aber man war in 
Wien sehr wohl davon unterrichtet, daß Deutsch 
land im Rotfalle zwar an der Seite Österreichs 
stehen würde, daß aber die deutsche Regierung 
dringend wünschte, dieser Rotfall möchte nicht 
eintreten. Zwischen Österreich-Ungarn und Italien 
regte sich eine leise Rivalität wegen Albaniens. 
Wäre in dieser kritischen Zeit die groß 
britannische Politik nicht sehr zielbewußt in der 
Richtung der Aufrechterhaltung des Friedens 
geführt worden, so ist es nicht unmöglich, daß 
aus demBalkankriegsich ein europäischer Krieg ent 
wickelt hätte. Sir Edward Grey hat mit aller 
Energie die beiden anderen Ententemächte 
zurückgehalten und in Petersburg wie in Paris 
konnte kein Zweifel darüber bestehen, daß Eng 
land unter keinen Umständen daran dachte, sich 
in einen europäischen Krieg verwickeln ?u 
lassen. Wir haben ja schon früher gesehen, wie 
die englische Regierung von Frankreich und 
Rußland abgerückt ist: diese Politik hat Europa 
den Frieden erhalten. Rußland allein scheute 
davor zurück, einen Krieg gegen Österreich- 
Ungarn zu führen. Österreich-Ungarn wollte 
diesen Krieg ebensowenig. Aber die Verhält 
nisse wurden immer unerträglicher. Zeder Tag, 
an dem die Armeen Rußlands und Österreich- 
Ungarns einander kampfbereit gegenüberstanden, 
kostete Millionen und die Erregung nahm in 
beängstigendem Maße zu. 
In dieser Zeit der Verschärfung der inter- 
Baktankrieg. H. 
nationalen Krise griff Kaiser Franz Joseph 
persönlich in die Politik ein. In den letzten 
Zanuartagen erfuhr man, daß ein Spezial 
delegierter des Kaisers Franz Joseph mit einem 
Handschreiben des Kaisers an den Zaren Riko- 
laus abgehen werde. Am 2. Februar reiste 
Prinz Gottfried Hohenlohe aus Wien ab, um 
das Handschreiben des Kaisers dem Zaren zu 
überbringen. Raturgemäß herrschte über den 
Inhalt des Handschreibens absolute Unklarheit, 
doch wurde angedeutet, daß sich der Brief des 
Kaisers an den Zaren auf die politische Situ 
ation bezog. Erst viel später ist die Wirkung 
dieses Handschreibens bekannt geworden: es hat 
das Mißtrauen zum Teil zerstreut, das in Peters 
burg gegen die Wiener Politik auf dem Balkan 
herrschte, hat vielleicht den Ausbruch eines 
österreichisch-russischen Krieges verhindert. Vorder 
hand aber blieb die Situation außerordentlich 
kritisch: es brauchte nur der Funke in das 
Pulverfaß zu fliegen und der Friede Europas 
flog in die Luft. 
Die Begehungen Mischen Bulgarien und 
Rumänien hatten sich gleichfalls wesentlich ver 
schlechtert. Die bulgarischen Delegierten in 
London hatten die Absicht zu deutlich gezeigt, 
daß sie eine Hinausschiebung der von Rumänien 
aufgeworfenen Fragen bis nach dem Friedens 
schluß wünschten. Das war an sich begreiflich, 
denn Bulgarien wußte noch gar nicht, was es 
nach dem Frieden bekommen würde und wollte 
deshalb auch keine Entscheidung darüber fällen, 
was es an Rumänien abtreten könnte. Die 
rumänischen Delegierten waren über diese 
Haltung verärgert und reisten unverrichteter 
Dinge, wie wir schon gesehen haben, nach Ru 
mänien zurück, über die Forderungen Rumäniens 
lauteten die Rachrichten widersprechend, je nach 
dem sie aus Sofia oder aus Bukarest kamen. 
Ursprünglich hieß es, Rumänien verlangt 
von Bulgarien die Abtretung der großen Donau- 
festung Silistria und eines bedeutenden Streifens 
Bulgariens an der Grenze der Dobrudscha bis 
zum Hafen Kavarna am Schwarten Meere, 
denselben einschließend. Später vernahm man 
aus bulgarischer Ouelle, Rumänien habe bei 
den Verhandlungen des Ministers Take Zonescu 
mit Dr. Danew seine Forderungen dadurch 
eingeschränkt, daß es nicht mehr die Abtretung 
30
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.