Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Der Staatsstreich in Konstantinopel. 
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Aus der Proklamation, die den Manifestanten 
vor der Pforte zugesteckt worden war, sowie aus 
dem Rundschreiben des Ministers des Innern 
geht mit voller Bestimmtheit hervor, das) der 
Staatsstreich von jungtürkischer Seite ausging 
oder doch wenigstens von ihr gefördert wurde. 
Mas die Darstellung des Todes Razim Paschas 
in dem Konstantinopler Blatt anlangt, so war 
die offiziell gegebene Aufklärung, mit der man 
sich einstweilen zufrieden geben mußte. 
Die „Frankfurter Zeitung" brachte aus Kon 
stantinopel, 25. Januar, folgende ausführliche 
Schilderung des Staatsstreiches: 
Vorgestern in der ersten Vachmittagsstunde 
sah man den Obersten Enver Bey, nur von 
einem Adjutanten begleitet, auf einem neuge- 
gegend versteckt gehalten. Ungehindert gelangte 
Oberst Enver mit seinen Begleitern durch die 
Machen der Hohen Pforte in den Konferenzsaal 
des Großwesirs, wo gerade über den Verlauf 
der vorherigen Divansihung Beratungen statt 
fanden. Sein Auftreten wird selbst von den ge 
stürzten Ministern als äußerst respektvoll gegen 
über dem Großwesir geschildert, weniger das 
jenige TalaatBeys. Mit leiser, zitternder Stimme 
forderte er Kiamil auf, seine Entlassung zu geben. 
Kiamils Haltung wäre der eines römischen 
Senators würdig gewesen. Cr erhob sich gelassen 
von seinem Sitz und mit eisiger Ruhe entgegnete 
er Enver, wenn es der Mille der Ration sei, 
möge man ihn auch töten, er sei furchtlos, aber 
er hätte ein heiliges Recht, zu verlangen, daß 
Die Beisetzung Aa)im Paschas in Konstantinopel. 
zäumten Pferde über pera nach Stambul reiten. 
Menige Minuten später folgte ihm das Unter 
offizierlehrbataillon, das ein Bruder des jetzigen 
Großwesirs kommandiert, und zwei Eskadronen 
Kavallerie. Mißtrauische Leute besorgten gleich, 
daß irgend etwas Wichtiges sich ereignen würde. 
Ein putsch lag in der Luft. Da aber in Stam 
bul Enver sich von diesem Aufgebot trennte, 
und letzteres nicht die Direktion auf die Hohe 
Pforte einschlug, zerstreuten sich die Bedenken. 
Die Regie, in der Enver und seine Leute eine 
gewisse Erfahrung besitzen, fungierte tadellos. 
Kurze Zeit später wurde mit knapp 10 Personen 
ein Staatsstreich ausgeführt, den selbst die ge 
übtesten südamerikanischen Staaten mit unver- 
holenem Reid bewundern müssen. Die relativ 
kleine Truppenmacht trat während der Aktion 
gar nicht in Erscheinung, sie wurde in der Um- 
Balkankrieg. H. 
man ihm vorher die Gründe bekannt gebe, derent 
willen seine Abdankung gefordert würde. Enver 
setzte dem Großwesir die triftigen Gründe aus 
einander, worauf eines der wichtigsten Komitee 
mitglieder, Omar Radji, den Großwesir unge 
fähr mit folgenden Morten apostrophierte: 
„Du, Kiamil, darfst vollständig beruhigt 
bleiben. Die Ration respektiert dich. Sie hat 
vielleicht nicht zum letztenmal an deinen Patrio 
tismus appelliert, sie wird dich später wieder 
auf diesen wichtigsten Posten berufen. Befürchte 
nicht das mindeste Leid. Der jetzige Augenblick 
erheischt gebieterisch das Opfer deines sofortigen 
Rücktrittes. Du bist übel umgeben und noch 
übler beraten." 
Der Großwesir unterzeichnete hierauf seine 
eigene Entlassung, die anderen Minister befolgten 
sein Beispiel 
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