Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Der Staatsstreich in Konstantinopel. 
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Pascha zeigte zu jener Jett, wenn nicht Sorg 
losigkeit, so doch eine Unkenntnis dessen, was 
vorging, wie sie die Welt noch nicht erlebt 
hatte. Einerseits war es über den Balkanbund 
nicht unterrichtet, anderseits entlieh es auf ein 
mal 120.000 Mann von den in Rumelien 
stehenden Truppen. Wenn diese Mannschaften, 
die nach der Verkündigung der Verfassung besser 
als andere Truppen ausgebildet wurden, am 
Kriege teilgenommen hätten, so würden sie 
sicher großen Mut bewiesen haben. Gleichzeitig 
fügte die Regierung ihrer Sorglosigkeit eine 
große Dummheit hinzu. Sie berief für die Ab 
haltung von Manövern die Reserven der euro 
päischen Türkei unter die Waffen. Die Balkan 
staaten nahmen aus diesem Schritt Veranlassung 
zu Verhandlungen. Es wird behauptet, der 
russische Zar habe den Auf 
schub des Krieges bis zum 
Frühjahr angeraten. König 
Ferdinand habe aber darauf 
die Feindseligkeiten beschleu 
nigt mit der Motivierung, 
man könne nicht wissen, ob 
im Frühjahr noch in der 
Türkei ein so unfähiges 
Kabinett am Ruder sei. 
Während unser großer 
Generalstab schon längst 
einen Feldzugsplan für einen 
Krieg mit den Balkanstaaten 
bereit hatte, sah nicht 
nur das Kabinett Ahmed 
Mukhtar Pascha von der 
Ausführung dieses planes 
ab, sondern ernannte auch 
unfähige Armeekomman 
danten. Hierdurch wurde 
unsere Armee zu den Rieder 
lagen bei Kirkkilisse und 
Lüle Burgas verurteilt, während die Welt über 
zeugt war, sie würde siegreich aus dem Kampfe 
hervorgehen. 
Das Kabinett Ahmed Mukhtar Pascha und 
das auf dieses folgende Kabinett Kiamil Pascha, 
statt sich mit der Untersuchung und der Beseiti 
gung der Ursachen unserer Riederlagen zu be 
schäftigen, sahen es für eine wichtigere Pflicht an, 
mit den Geschicken der Ration zu spielen, Haus 
durchsuchungen vorzunehmen, sowie patriotische 
Männer zu verfolgen und zu verhaften. Diese 
Kabinette verminderten einerseits die Kampf 
fähigkeit unserer Armeen durch die Ernennung 
ungebildeter und unfähiger Kommandanten, 
anderseits schläferten sie durch solche Verfolgungen 
die patriotischen Gefühle und den Eifer unseres 
Volkes ein. Man begann zu glauben, es be 
stehe keine Einheit der Gesinnung und der 
gegenseitigen Interessen zwischen dem kämpfenden 
Heere und dem Volke, zu dem es gehört. Be 
sonders aber gab sich das Kabinett Kiamil 
Pascha mit verräterischen „Hafijes" und mit 
Denunziationen ab, die an die Zeit Abdul 
Hamids erinnerten. Wenn man in Erwägung 
zieht, daß trotz unserer den Sieg verheißenden 
Stellung in Tschataldscha ein Waffenstillstand 
mit übermäßig günstigen Bedingungen für die 
Bulgaren abgeschlossen wurde, so tritt es an 
den Tag, daß das Kabinett Kiamil Pascha 
den Frieden im voraus beschlossen hat, ohne 
das Interesse des Vaterlandes und der Ration 
ins Auge zu fassen. Die Abtretung der ganzen 
europäischen Türkei, abgesehen vom Vilajet 
Adrianopel, die in der dritten Friedenskonferenz 
erfolgte, ließ diese Absichten der Regierung 
klar hervortreten. Die Balkanstaaten erwogen, 
daß es ein großer Fehler 
sein würde, wenn sie von 
einer so nachgiebigen Re 
gierung nicht auch die Ab 
tretung Adrianopels und 
der Inseln verlangten, und 
bestanden auf diesen Punk 
ten. Dank den Fähigkeiten 
ihrer Londoner Bevoll 
mächtigten gewannen sie 
auch das Interesse der Groß 
mächte für ihre Forderungen. 
Die Mächte rieten daher 
durch einen gemeinsamen 
Schritt der aus unfähigen 
und törichten Elementen be 
stehenden osmanischen Re 
gierung die Abtretung 
Adrianopels und die Über 
lassung der Archipelfrage 
für die Entscheidung durch 
die Mächte. Aus den 
Erörterungen, die in der 
gestrigen Ratsversammlung angestellt wurden, 
geht hervor, daß das auch die Meinung des 
Kabinetts Kiamil Paschas war. Dieses Kabinett 
schreckte nicht vor einer Verletzung der Ver 
fassung zurück, nur, um das durch das Rach 
geben in der Adrianopler Frage und der Insel- 
frage begangene Verbrechen zu beschönigen. So 
opferte sie einerseits die zweite Hauptstadt des 
osmanischen Reiches und die künftige Hegemonie 
im Agäischen Meere auf. Anderseits verletzte 
sie das höchste Recht des osmanischen Volkes. 
Diese Ration konnte eine Regierung nicht 
länger ertragen, die vor 6 bis 7 Monaten ihre 
Grundrechte anzutasten wagte, die vor der Ab 
tretung der europäischen Türkei nicht zurückschreckte, 
die sich scheute, die Verteidigungskraft des Landes 
auszunutzen, wie es sich gehörte. In Augen 
blicken, wo die Zukunft des Landes und die 
höchsten Interessen der Ration in Gefahr sind, 
Talaat Bey.
	        
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