Die internationale Situation.
9
□□
In Abwesenheit des Ministers des Austern
erteilte Sektionschef Graf Wickenburg fol
gende Antwort:
Ich bitte, zu gestatten, dast ich in Abwesenheit
des Ministers des Auswärtigen die Antwort
auf die Interpellation des Herrn Delegierten
Ragst erteile, welche sich aber nicht auf den
ganzen Inhalt der Interpellation erstreckt.
Es ist eine Tatsache, dast unsere Kommuni
kation mit dem österreichisch-ungarischen Konsul
in prizrend seit einiger Zeit aufgehört hat. Der
Minister des Austern hat in seiner gestrigen
Erklärung darauf hingewiesen, dast von unserem
Gesandten in Belgrad bei der dortigen Re
gierung Schritte unternommen wurden, damit
seitens der Belgrader Regierung dem kein
Hindernis entgegengesetzt werde, vielmehr Schritte
in der Richtung geschehen, dast einer unserer
Beamten nach prizrend reisen könne und die
Verbindung mit dem Konsulat daselbst wieder
hergestellt werde.
Heute eingetroffenen Meldungen zufolge hat
die kgl. serbische Regierung dem zugestimmt,
dast unsere unmittelbare Verbindung erfolgen
kann, so dast heute nachmittag ein kaiserlicher
und königlicher Konsularbeamter über Belgrad
nach prizrend reisen wird. Ich bitte daher
meine Antwort zur Kenntnis zu nehmen.
Am gleichen Tag reiste Konsul Theodor
Edl von Men nach llsküb ab, um sich von
dort aus mit dem Konsul prochaska in Ver
bindung zu setzen.
Anzeichen für einen Stimmungsumschlag
in Belgrad.
In der Prochaska-Frage schien eine Ent
spannung Mischen Österreich-Ungarn und Serbien
sich anzubahnen; die Affäre war wenige Tage
später dadurch erledigt, dast Konsul Edl mit dem
inzwischen freigegebenen Konsul prochaska in
llsküb zusammentraf. Im allgemeinen schien
sich in Belgrad ein Umschwung vorzubereiten.
Unterm 21. Rovember wurde von dort ge
meldet:
Die Ausführungen des österreichisch-ungari
schen Ministers des Austern Grafen Berchtold
in den Delegationen haben in serbischen Kreisen
die ernsteste Beachtung gefunden. Sie trugen
in hohem Maste zur Verstärkung des Ein
druckes bei, dast in der albanesischen Frage
nicht nur unter den Mächten des Dreibundes
die vollste Einmütigkeit herrsche, sondern dast
auch die Tripelentente gewillt sei, diese Frage
unter keinen Umständen zu einem europäischen
Konflikt ausarten zu lassen.
Diese Erkenntnis beginnt eine kalmierende
Wirkung auf die serbische öffentliche Meinung
auszuüben und selbst in leitenden serbischen
Balkankrieg. II.
Kreisen gewinnt langsam die Auffassung an
Boden, dast das starre Festhalten an der ur
sprünglich von serbischer Seite ins Auge ge
fassten Lösungsform der Hafenfrage unter dem
obwaltenden immer offenkundiger zutage tretenden
Meinungsumschwung in der europäischen Öffent
lichkeit keine zuverlässige Gewähr für die Be
friedigung der serbischen Wünsche und der
serbischen Interessen biete. Allerdings must hier
bei festgestellt werden, dast das Schwergewicht
der Staatsgewalt augenblicklich nicht in Bel
grad, sondern im Hauptquartier des Armee
oberkommandos liegt und dast ein gründlicher
Meinungsumschwung wohl erst nach Beendigung
der militärischen Operationen in Aussicht ge
stellt werden kann.
Es scheint eben allmählich in Belgrad die
Erkenntnis sich durchgesetzt zu haben, dast trotz
der Siege bei Kumanovo und Monastir Serbien
nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen
könne. Man bereitete also in der albanesischen,
wie in der Hafenfrage ein langsames Rachgeben
vor. Herr Sinne, der serbische Gesandte in
Wien, der von Anfang an in beruhigendem
Sinne in Belgrad wie in Wien gearbeitet hat,
erklärte am 2j. Rovember zunächst zur prochaska-
Affäre:
Es ist wohl nicht leicht, sich über die Um
stände, die zu der Affäre prochaska geführt
haben, ein Bild zu machen und man must das
Resultat der Erhebungen abwarten, welche
Konsul Edl im Einvernehmen mit den serbischen
Behörden pflegen wird. Wenn es sich bestätigen
sollte, dast Konsul prochaska prizrend verlassen
hat, dann dürften beide Herren möglicherweise
in Usküb oder in Belgrad zusammentreffen. So
viel geht jedoch bereits aus den vorliegenden
Meldungen hervor, dast er, wie übrigens nicht
anders zu erwarten war, sich wohlbefindet. Die
Verzögerung des Eintreffens von Berichten und
Briefen des Konsuls könnte übrigens auch
darauf zurückgeführt werden, dast in Kriegs
zeiten die Verkehrsverhältnisse äusterst mangel
haft sind. So erwarte ich selbst seit 14 Tagen
vergebens eine Rachricht von einem im serbi
schen Hauptquartier befindlichen Reffen.
Mit Rachdruck must ich verschiedene in der
Presse veröffentlichte Berichte über angebliche,
von serbischen Truppen verübte Grausamkeiten
und schlechte Behandlung von Kriegsgefangenen
zurückweisen. Ich weist vielmehr genau, dast
den Gefangenen in Serbien die in zivilisierten
Ländern übliche Behandlung zuteil wird. Einer
von der serbischen Regierung über die Behand
lung der Kriegsgefangenen erlassenen Instruktion
entnehme ich unter anderem, dast höhere Offi
ziere täglich zwei Dinars, Offiziere einen Dinar
und Soldaten 60 Heller sowie austerdem eine
Brotration erhalten.
2