8
Die internationale Situation.
□□
sein können. Viel glücklicher wären wir, wenn
unser Aachbar Österreich-Ungarn unser Advokat
wäre, um uns zur völligen Unabhängigkeit zu
verhelfen. Wäre es von Rußland abgehangen,
so wäre nie der Krieg gegen die Türkei zu
stande gekommen. Rußland hat alles getan, um
uns zu hindern. Es hat sogar gedroht und uns
den Untergang prophezeit und erklärt, es werde
nicht einen Finger für uns rühren. Auch in der
Hafenfrage fördert uns Rußland nicht.
Sagen Sie diese ehrlichen Worte eines
ehrlichen Mannes Ihrem Blatte. Wenn wir
auf Rußlands Ratschläge hören würden, so
hätten wir schon längst unsere diesbezüglichen
Prätensionen und damit uns selbst aufgegeben
und würden ewig bettelnde, dankbare Schütz
linge bleiben. Die Hafenfrage ist so wichtig,
sie schneidet so in unser Lebensmark, daß wir
auf niemanden hören werden.
Wir wollen frei sein von jedem Protektorat,
sei es welcher Art immer. Graf Berchtold ist
ein sehr aufrichtiger Diplomat, ein loyaler Be
rater Ihres von uns verehrten, ehrfurchtsvoll
bewunderten Monarchen. Graf Berchtold wird
uns nie etwas zu Leide tun. Wo aber haben
wir die Garantie, daß auch alle seine Aach
folger so wie er denken und handeln werden?
Will man uns das Leben lassen, so muß man
uns das Leben erst gebenl
Die weitere Entwicklung der prochaska-
Affäre.
Am 20. Aovember ließ die österreichisch-
ungarische Regierung vor der ungarischen Dele
gation in der Prochaska-Affäre folgende Er
klärung abgeben:
Da der Herr Minister des Äußern leider
durch eine dringende Abhaltung verhindert ist
im Hause zu erscheinen, hat er mich beauftragt,
in der Affäre des Konsuls prochaska die Mit
teilung zu machen, daß gestern abends laut
Telegramm unserer Gesandtschaft in Belgrad
seitens der serbischen Regierung der von uns
projektierten Entsendung eines Funktionärs des
Ministeriums des Äußern zur Untersuchung des
ganzen Vorfalles nach prizrend zugestimmt
wurde. Dadurch ist die Möglichkeit, eine Ver
bindung mit dem Konsul herzustellen, gegeben
und voraussichtlich auch für eine objektive Behand
lung der ganzen Sache die Grundlage geboten.
Diese Erklärung wurde von der Delegation
mit großem Beifall aufgenommen. Welcher Art
die Befürchtungen waren, die man damals in
Österreich-Ungarn hegte, zeigt eine Inter
pellation, die am gleichen Tage und an
schließend an diese Erklärung verhandelt wurde.
Der Delegierte Franz Aagy führte in der De
legation aus:
Die Aachrichten, welche bezüglich des öster
reichisch-ungarischen Konsuls in prizrend in den
Blättern erschienen sind, erwecken in uns die
schwersten Besorgnisse und bewegen mich, von
dem Herrn Minister des Äußern Aufklärungen
zu verlangen. Aach den erwähnten Blätter
meldungen wurden beim Einmarsch der serbischen
Soldaten in prizrend Angriffe gegen das
Haus und die Person des österreichisch-ungari
schen Konsuls gerichtet, die als empörend be
zeichnet werden müssen. Das serbische Militär
soll ein förmliches Blutbad angerichtet und die
Weiber und Kinder, welche in das österreichisch-
ungarische Konsulat geflüchtet waren, in van-
dalischer Weise niedergemetzelt haben und der
österreichisch-ungarische Konsul selbst soll bei der
Verteidigung seines Hauses verwundet worden
sein.
Anderen Aachrichten zufolge soll der Konsul
von jeder Berührung mit der Außenwelt abge
schnitten und sogar interniert worden sein.
Gestern ist auch noch die erschreckende Aachricht
aufgetaucht, daß der Konsul getötet worden sei.
Wenn diese Aachrichten wahr sind, stehen wir
einem Falle gegenüber, der von keinem Staate,
um so weniger aber von einer Großmacht ge
duldet werden darf. Es ist dies ein beispiel
loser Fall, der die elementarsten Regeln des
Völkerrechtes verletzt und den man unmöglich
ohne Retorsion lassen könnte. Wenn diese
Aachrichten wahr sind, müssen wir eine Genug
tuung verlangen, die einerseits der Würde und
dem Ansehen der Monarchie und anderseits den
Forderungen der Humanität entspricht. Ich
würde es gerne sehen, wenn die Meldungen
über die Grausamkeiten der serbischen Armee
und der ungeheuere, der Monarchie zugefügte
Affront nicht der Wahrheit entsprächen, aber sie
beunruhigen uns doch und der Gedanke an die
Möglichkeit dieser Tatsachen empört uns so sehr,
daß wir verlangen müssen, über den tatsäch
lichen Stand der Dinge aufgeklärt zu werden,
und energisch fordern, daß die Leitung der aus
wärtigen Angelegenheiten alles tue, was der
Würde und dem Ansehen der Monarchie ent
spricht. Mit Rücksicht auf die beunruhigenden
Meldungen, welche bezüglich des österreichisch
ungarischen Konsuls in prizrend verbreitet sind,
erlaube ich mir an den Minister des Äußern
die folgenden Anfragen zu richten:
Besitzt der Herr Minister des Auswärtigen
Kenntnis von den gegen den österreichisch-ungari
schen Konsul in prizrend verübten Angriffen und
von der tatsächlichen Lage dieses Konsuls?
Ist der Minister des Äußern geneigt,
Schritte zu unternehmen, welche die Angelegen
heit vollkommen klären und durch welche die
unverzügliche Sanierung etwa entstandener
Gravamina herbeigeführt werden?